Gemeinsam mit einem schnarchenden Dänen und einem kiffenden Franzosen teile ich mir das Zimmer in der Herberge in Huntto. Jeder liegt in seinem Schlafsack, eingehüllt wie in einem Kokon, nutzen wir die Nacht um am frühen Morgen wie ein Schmetterling aus den eigenen vier Sackwänden empor zu steigen. In der Nacht setzt Regen ein, am frühen Morgen ist davon aber nichts mehr zu sehen und zu hören – einen strahlenden Sonnenaufgang darf ich von der Terrasse aus beobachten: traumhaft. Im Hintergrund hustet sich gerade Leif, der schnarchende Däne, die halbe Lunge aus dem Leib.
Hier bin ich also. Frankreich, Jakobsweg, in den Pyrenäen, die Grenze zu Spanien nur wenige Kilometer entfernt, es beginnt. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit meinen Zimmergenossen „darf“ ich noch die Unterkunftskosten von sage und schreibe 32 € berappen (der Hase und der Rotwein haben eingeschlagen). Nun denn, so möge es sein; ab jetzt sollte sparsam mit den Euronen umgegangen werden. Maximale Ausgaben von 20 € pro Tag hab‘ ich mir vorgenommen, am ersten Abend ist dieses Vorhaben jedenfalls mal ordentlich in die Hose gegangen und habe ich auch sofort wieder aufgegeben. Meine neue Einstellung: wenn ich weniger brauche – gut. Und wenn’s passt und wenn ich Lust habe, dann gebe ich einfach mehr aus. Einen ungustiösen „Zwang“ will ich gar nicht aufkommen lassen.
Rechts blinken und einordnen. Von St. Jean wandern Menschen keuchend nach Huntto, würdigen meinem kultigen Strohhut nur einen kurzen Blick und wandern weiter – jedenfalls ein „Buen Camino“ bringt jeder über die Lippen.
Menschen, die hier im Wanderführer herumblättern, sollten sich das mit dem Jakobsweg nochmal wirklich gut überlegen. Erstens könnten selbst die kurzsichtigsten Menschen ohne Sehhilfe den Weg über die Pyrenäen nicht übersehen, zweitens trifft man so viele andere Pilger, dass man sich kaum verlaufen kann. Und ja, es sind wirklich viele Menschen. Aber die Massen verteilen sich brav auf die gesamte Wegstrecke. Man lernt die ersten Menschen kennen, geht einige Meter gemeinsam oder man weiß nach den ersten Begegnungen, welche man lieber ziehen lässt.
Doch im Grunde sind am ersten Tag über die Pyrenäen alle mit sich selbst beschäftigt. Ich jedenfalls kann ein Lied davon singen, denn meine Waldviertler sind noch nicht wirklich „eingegangen“ und reiben an der Ferse. Ich spüre die ersten Blasen und begutachte diese bei einer Esspause. Oh ja – dicke, fette Blasen haben sich auf meinen Fersen eingefunden. Gut verbunden und mit einem speziellen Gangstil setze ich den Weg fort. Und irgendwann, es kommt fast überraschend, befindet man sich in Spanien. Sehnsüchtig erwarte ich den Teil, der bergab führt. Meine Fersen jubilieren, dafür sind meine Zehen nicht sonderlich erfreut und…ja, nun gibt’s auf den Zehen einige kleine Blasen. Ich glaub, die Schuhsituation muss ich mir nochmal genauer ansehen.
Alle Müh und Not ist vergessen, als ich die Gemäuer des Klosters Roncesvalles erblicke. Das Etappenziel ist erreicht, die Unterkunft in dem überdimensionalen Schlafsaal kann jedoch noch nicht bezogen werden. Ich brauche einen Stempel in meinem Pilgerpass vom Pilgerbüro, dieses hat aber im Moment geschlossen und sperrt erst am späten Nachmittag wieder auf. Auf der Wiese strecke ich meine Blasen-Füße aus und lerne Manni aus Deutschland kennen. Manni, liebevolle Form für Manfred, ist hier, weil er sich nicht zwischen drei Frauen entscheiden kann: seiner Ehefrau, seiner Freundin und seiner zweiten Freundin. Ich habe dann schnell wieder Abstand von ihm genommen.
„First come, first serve“ – so funktioniert die Bettenzuteilung im Schlaflager. Ich ergattere ein Bett am Rand, tausche mit Menschen die klassischen drei W-Informationen aus (woher, wohin, warum), liege im Bett herum, lese im Wanderführer über die nächste Etappe, verarzte meine Blasen und gönn‘ mir eine Lila Pause im Garten. Zum Abendessen gibt’s Brot und Aufstrich aus der eigenen Rucksack-Kantine.
Die Nacht ist…abwechslungsreich. Obwohl mein Körper müde ist, kann mein Geist nicht abschalten. Jedes Gequietsche, Gefurze und auch Gestöhne versuche ich irgendwie zu lokalisieren. Doch irgendwann, die meisten Menschen schlafen sicher schon, verfalle ich, betäubt durch olfaktorische Einflusse aller Art, in den Tiefschlaf.
Hier kommst du zum nächsten Tag – von Roncesvalles nach Larrasoaña
Kurzinformationen zur Strecke
Start: Pilgerherberge in Huntto/FRA
Ziel: Pilgerherberge in Roncesvalles/ESP
Streckenlänge: 21,5km
Höhenmeter: 1.100m
Charakteristik: Bergwanderung auf gut markierten Wegen, keine sonderlichen steilen Anstiege, dafür ein steiler Abstieg, bei Nebel kann es schon mal ungemütlich werden
Besuchte Pilgerherberge: ein riesiger Schlafsaal für 120 Personen, Duschgelegenheiten sind vorhanden, Getränke und Imbiss nur von einem Automaten, eine Nacht kostet 7 € (ohne Frühstück), Gaststätte nur wenige Meter über der Straße – Infos aus 2010
Hier kommst du zum nächsten Tag – von Roncesvalles nach Larrasoaña
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