Wasserpfützen verziehen sich nicht schnurstracks in das nach Feuchtigkeit ringende Erdreich, sie erstellen Besitzansprüche für ein Fleckchen Land, und dieser Besitz wird gewährt. Eine natürliche Dunstglocke liegt wie ein fehlgeschlagener Abgastest über der Stadt, während die Gefahr von Kastanienkopfnüssen nie größer ist. Der Abend tritt immer früher zu Tage, auch wenn noch künstlich mit der Zeitumstellung nachgeholfen wird und für eine halbjährliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Zeitverschiebung sorgt. Es ist Herbst in Wien. Was gibt es schöneres.
Nasses Gras sorgt für passende Feuchtigkeitszufuhr für das eigene Schuhwerk, Nieselregen ersetzt die sanfte Akupunktur im Gesicht, das Rauschen der Blätter ist kein Mythos mehr. Es ist Herbst in Wien. Was gibt es schöneres.
Mühlwasser, Lobau und Neue Donau werden auserkohren, die Pfade für meinen ersten herbstlichen Spaziergang in Wien bereitzustellen. Von der U2 Station Donaustadtbrücke entlang dem Mühlwasser, überführend in die Lobau und über den Josefsteg zur S-Bahn-Haltestelle Lobau, die Raffineriestraße querend zur Neuen Donau und retour zur U2 Station Donaustadtbrücke. Spuren vom Sommer, einsame Pfade und interessante Wettbewerbsmöglichkeiten in der Lobau, vergessene oder verlorene Hinterlassenschaften der Zivilisation, eine Gartengestaltung die seinesgleichen sucht.
Klickt oder scrollt euch durch die Galerie, kurze Texte befinden sich zwischen den Bildern, weitere Infos und eine Übersichtskarte findet ihr am Ende der Grau-in-Grau-Darstellungen.
Das Rauschen der Blätter ist auf den ersten Metern neben den Verteilerstraßen am Knoten Kaisermühlen noch ein wahrer Mythos, eine Legende. Das Knattern der Motoren übertönt jegliche Geräusche, selbst die am Himmel hinwegschwebenden Flugzeuge müssen sich den Schallwellen der Autobahn geschlagen geben. Erst als ich den festen Untergrund hinter mir lasse und mich auf den wohlgeformten Trampelpfad neben dem Oberen Mühlwasser begebe, übersteigt langsam aber doch die Geräuschkulisse der Natur die des motorisierten Individualverkehrs.
Neben meiner Wenigkeit nutzen HundebesitzerInnen und deren Anhang und LäuferInnen den Trampelpfad entlang dem Mühlwasser, während sich Getier am und im Wasser treiben lässt, sich putzt oder auf Nahrungssuche ist. Das Gewässer ist ruhig, kein Wind, kein Regen bäumt die Wasseroberfläche auf.
Sie funktioniert eigentlich nie, außer wenn ich unterwegs bin. Die innere Uhr meldet sich, ein leiser Hungeralarm reißt mich aus dem Gehrhythmus, wie gut dass ein saftiger Baum schnell erreicht ist. Sorry, liebe MA49, manche Dinge sind einfach nicht vorhersehbar und kaum verhinderbar.
Am Mühlwasser ist Stimmung, wie man sie nur im Herbst erlebt. Die Badezeit ist vorbei, die Winterzeit hat noch nicht begonnen. GassigeherInnen, LäuferInnen und ich. Mehr ist nicht.
Nachdem ich die wunderbaren Trampfelpfadsackgassen entlang dem Mühlwasser kennenlernen durfte, habe ich meinen ereignisreichen Spaziergang am Schilfweg fortgesetzt. Klingt zwar sehr idyllisch, ist aber eine Asphaltstraße, an welcher sich kaum ein Fahrzeug an irgendeine Geschwindigkeitsbeschränkung hält und noch dazu das Bankett so schmal ist, dass mich nur ein Sprung in den Busch bei den uneinsichtigen Kurven retten würde. Die Büsche bleiben unberührt.
Sehnsüchtig erwarte ich die Nordseite des Mühlwassers, die Lobaugasse soll diese Sehnsucht erfüllen. Tschüss, du anfangs naturbelassene Südseite und spätere eintönige Asphaltstraße mit verschlissenen Gewächshäusern und weiten Feldern.
Der schmale Pfad erweckt einen einsamen Eindruck, einem einfallslosen Einfall eines Einheimischen ist es zu verdanken, dass ein weißes Kreuz den Weg ziert. Die Frage ist: wurde oder wird?
Mitglied muss Mann sein, damit der Naturistenpark Lobau betreten werden darf. Auch Frau ist erlaubt.
Es geht nun südwärts. Große Pfosten markieren den Eingang zum Nationalpark Donau-Auen und aus regionaler Sicht betrachtet den Eingang zur Lobau. Dem Gewässer bleibe ich treu und lasse es in meiner nahen Umgebung verweilen. Nahe der Aussichtsplattform, zu dieser komme ich gleich, ist eine Gruppe laut gröhlender Menschen damit beschäftigt, einen großen Holzblock durch die Landschaft zu werfen, zu applaudieren, die Wurflänge zu messen und sich über- und untereinander auszulachen.
Schilf- und Baumblicke dominieren die Aussichtsplattform, ein Schwan zupft Schilfpflanzen aus und legt sie hinter sich nieder. Herbstputz der anderen Form. Unter ihm warten Fische auf Brotkrümel.
Der Holzblockgesellschaft weiche ich über den Fuchsweg aus, überquere zum gefühlt 570. Mal den Josefsteg und mache mich auf in Richtung Luitpold-Stern-Gasse.
Hänsel und Gretel beenden spätestens hier den Herbstspaziergang. Da ich von meiner Baumstammmahlzeit noch gut gefüllt bin, lasse ich die Gaststätte Knusperhaus links liegen. Grundsätzlich könnte man hier jedoch einkehren und sich Sturm in die Birne kippen. Montag und Dienstag geschlossen.
Die Faszination des Tages ist kein von der Natur geformtes Etwas, nein. Bin eigentlich kein Gartenspechtler, aber wer so provokant unzählige verblichene und der Witterung ausgesetzt Stofftiere am Zaun, auf den Bäumen, in einem Spielzeugauto und generell im gesamten Garten präsentiert, der kann doch nur mit einem Gartenspechtler rechnen. Spooky? Durchaus.
Bevor mich der Weg an den Pferden vorbeiführt, darf ich die Sehenswürdigkeit der Donaustadt von Außen besichtigen. Ich bin so fasziniert von diesem Ambiente, dass ich total vergesse, dieses außergewöhnliche Bauwerk abzulichten. Block 1 des Dampfkraftwerks Donaustadt wurde 1973 eröffnet, die Architektur orientierte sich an klassischer Kraftwerksarchitektur der 70er Jahre, ohne stilistische Überraschungen. Nur in der Innenarchitektur behielt man es sich vor, das Innere auch als Atomkraftwerk gestalten zu können. Zwentendorf kam dann doch zuvor. Dafür spannen sich zwei Hochspannungsleitungen über die Wohnhäuser der Umgebung.
Nach einem kurzen Abstecher zum Schillerwasser, bemerke ich den Verfall der Natur und die Renaissance des urbanen Stadtverkehrs. Es gilt die Raffineriestraße zu überqueren, an einer ampelgesteuerten Straßenkreuzung im Nirgendwo, welche für Fuß- und Radverkehr als notwendiges Übel doch ein paar Sekunden Grünphase opfern kann.
Nicht ein einziger Hund hat es in die Hundeauslaufzone an der Neuen Donau geschafft. Bloß ein Überbleibsel eines Wurfgeschosses besticht am Asphalt, ob der verloren erscheinende Handschuh dazu gehört? Das weiß nur der Herbst in Wien. Was gibt es schöneres.
Kurzinformation
Kilometeranzahl, die mindestens notwendig ist, um diese Tour nachzugehen:
12,1 Kilometer
Zeit, die wahrscheinlich notwendig ist, wenn du so wie ich unterwegs bist:
3-4 Stunden
Räumliches Orientierungsvermögen, das du brauchst, um diese Tour nachzugehen:
passables, so wie das eines Eichhörnchens im Herbst
Kartenmaterial, das dir dabei hilfreich sein kann, um diese Tour nachzugehen:
freytag & berndt Stadtplan Wien 1:25.000
Ideale Jahreszeit, die dazu notwendig ist, um diese Herbsttour nachzugehen:
Herbst
Einsamkeitsfaktor, der entsteht, wenn du diese Tour im Herbst nachgehst:
manchmal sehr hoch
Naturcharakter, den du erfährst, wenn du diese Tour nachgehst:
90%: Wo zum Geier geht’s in die Stadt?, 10%: Wo zum Geier geht’s in die Natur?
2 Kommentare
Grüß Dich Martin,
da hast aber einen trüben Tag erwischt. Gestern hättest da wohl den Goldenen Herbst gesehen. War schon öfters da in der Gegend. Vor Zwei Jahren am 19. November bei meiner Wien Ost-West Wanderung >>> http://canosthome.at/west-ost-wanderweg-12/
Noch eine Frage? Hast Du eine Ahnung warum der Stadtwanderwege West-Ost und Nord – Süd gegestrichen wurden?
Noch zu Deinen Bildern: Wenn man in Wien eine Wanderung unternimmt könnt man oft mit drei Rucksäcken voll nach Hause kommen und Flohmarkt aufmachen, überall findes was ;-)
Herzlichen Gruß
Werner
Hallo Werner,
war in den letzten Tagen auch wieder im Wiener Umland unterwegs und da habe ich dann den goldenen Herbst getroffen. :)
Die West-Ost und Nord-Süd Wege wurden ebenso wie der RUW 10 und 11 von der Stadtwanderwegeliste gestrichen, weil sich die zuständigen Ämter nur mehr auf die offiziellen Stadtwanderwege 1-9 und auf den rundumadum-Weg konzentrieren wollten. Daher sind die anderen Wege seit 2014 auch nicht mehr auf der Homepage der Stadt Wien zu finden: http://www.gehlebt.at/rund-um-wien-10-11/
Jedenfalls danke für den Link zu deiner Wanderung, ich denke die Wege muss ich mal nachgehen, denn die würden mir noch fehlen.
Liebe Grüße,
Martin