28. Februar 2019, ein wunderschöner Vorfühlingstag, kein Wolkerl am Himmel, es ist 5 vor 12. Mit einer geplanten 24-Stunden-Wanderung am Wiener Heldenplatz läutete ich mein neues Weitwanderprojekt Klimawandern ein. Vorbei an den beiden Pavillons, an der Hofburg entlang zur Nationalbibliothek, vorbei am Burgtor zum Volksgarten und das war die Runde.

But, why?

Diese Wanderung hatte für mich einen symbolischen Charakter. Hier rund um den Heldenplatz, wo die politischen Entscheidungen des Landes gefällt werden, drehte ich Runde für Runde, stets die gleiche Wegstrecke. Wer sich für Klimaschutz, Umwelt- und Naturschutz einsetzt, muss mitunter oftmals gleiche Wege gehen, dreht sich im Kreis, hat das Gefühl nicht voranzukommen. Es ist anstregend, zäh, glaubt nichts bewirken zu können, aber merkt auch, dass es einfach viele Schritte braucht, um etwas zu bewegen. Es gehört nur mal etwas getan! Den ersten Schritt machen und den Schwung mitnehmen.

Erfolgreich unterwegs

Nach 76 Runden, 81.360 Schritten und 21 Stunden habe ich meine Rundendrehungen am Heldenplatz offiziell beendet. Müdigkeit und Kälte ließen mich nicht mehr los, zitternd konnte ich mich nicht mehr sinnvoll weiterbewegen. Auch nämlich wichtig: Zu wissen, wann es notwendig ist, eine Pause einzulegen. Aufgehört habe ich nicht, denn dies war erst der Beginn einer langen Reise!
FÜR Umweltschutz, FÜR Klimaschutz, FÜR Naturschutz, FÜR unsere Zukunft!

Klimastreiks

Jeden Freitag finden am Wiener Heldenplatz Klimastreiks statt, sowie am 15. März der weltweite Klimastreik! Hingehen, Zeichen setzen, Druck aufbauen!

Rundenprotokoll

Runde 1

Eisiger Wind, wie in der Antarktis, nur das Thermometer zeigt 17°C an.

Die Höhenmeter werden sich heute in Grenzen halten.

Reinhold Lopatka läuft mir über den Weg. Die persönliche Stimmung ist dennoch noch immer gut.

Runde 2

Lautstarker Streit zwischen HundehalterInnen entbrannt. Thema dürfte das obligatorische Gackerl gewesen sein. Des Hundes wohlgemerkt. Als ein wahrer Haufen Konflikte.

Runde 3

Es wird zach. Bislang nur Asphaltmarsch, werde daher ab und zu auf die Wiese wechseln.

Störendes Nebengeräusch: Ab 12.30 Uhr ein doch interessants Streich-Geräusch von der Nationalbibliothek.

21 Stunden, 76 Selfies.
Runde 4

Geräusch ist noch immer hier.

Runde 5

Geräusch ist weg, hab dafür das erste Mal gegähnt.

Runde 6

Schon wieder gegähnt.

Runde 7

Leichte Zweifel über meine psychische Gesundheit kommen auf. Ob in meinem Kopf eh alles im Reinen ist. Hab festgestellt, dass diese Wanderung ein – sagen wir mal – interessantes Vorhaben ist.

Wer sitzt, hat entweder ein Weckerl in der Hand, ein Smartphone oder beides.

Erste Orientierungsprobleme treten auf: Ein LKW, an den ich mich am Parkplatz vor der Nationalbibliothek orientiert hatte, steht nicht mehr hier und hab es übersehen abzubiegen.

Runde 8

Jemand klettert auf einen Baum rauf. Ein Polizeiauto nähert sich, bleibt stehen, der Kletterer beginnt mit dem Abstieg, das Polizeiauto fährt weiter.

Frau reißt Grasbüschel aus der Wiese raus.

Andere Frau hat mich angelächelt. Glaube aber, dass sie eher der wärmenden Sonnen entgegenlächelte. Doch sie geht zwei Runden vor mir. Verfolgt sie vielleicht sogar den gleichen Zweck?

Runde 9

Sie ist abgebogen und von der Strecke abgewichen.

Runde 10

Kehrdienst am Parkplatz leistet wunderbare Dienste. Kleinmüll und Tschicktschummel werden von der Straße galant auf die ersten 50 Zentimeter Wiese geschleudert.

Menschen machen komische Verrenkungen, wenn es um spektakuläre Selfies auf der Heldenplatz-Wiese geht.

Runde 11

Neue Challenge? Bereits das zweite Mal gesichtet: ein Fenster der beiden Pavillons am Heldenplatz von Innen öffnen, etwas rausleeren, wieder zumachen.

Eher unspektakuläre Runde.

Runde 12

Spanische Reisegruppe besetzt meinen Fotospot. Habe 30 Sekunden warten müssen, bis der Platz wieder frei war. Eine Schande!

Schatten werden länger.

Runde 13

Ohne Klickzähler für meine Runden wäre ich aufgeschmissen, nicht rechnungsfähig sozusagen.

Runde 14

Der Wind hat ein Plastiksackerl in mein Gesicht geschleudert.

Runde 15

Eine Autoalarmanlage bemüht sich am Parkplatz um Aufmerksamkeit.

Plastiksackerl hebt ab und wird zur nationalen Gefahr! Jeden Moment schlägt es in der Hofburg ein.

Dieses ominöse Sackerl ist in die Hoheit der Lüfte aufgebrochen, an der Hofburg abgeprallt, hat an Thermik verloren, bekam frischen Wind, striff an meinen Beinen vorbei und blieb danach am Radkasten eines Autos hängen.

Runde 16

Bin wahrscheinlich auf vielen Fotos von Touristen abgelichtet. Hab einem Touristen dabei direkt in die Augen geblickt. Dieses Foto der Hofburg findet wohl einen Platz im Familienalbum.

Der Wind pfeift wie im Inneren in einer antarktischen Forschungsstation.

Erster Opernballgast gesichtet: Lackschuhe und Fliege.

Mittlerweile kenne ich alle Chauffeure der geparkten Diplomatenautos.

Runde 17

Es wird über Pilz gesprochen.

Bin mir nicht sicher, ob sich nicht der Polizist zwischen den beiden Pavillons auch schon denkt, was ich hier mache.

Karfreitag ist Thema am Heldenplatz.

Runde 18

Bin das dritte Mal an einem auf der Bank sitzenden Mann vorbeigegangen. Aus seinem an mich gerichteten Blick kann ich ableiten, dass er sich wohl fragt, was ich hier denn mache. Ich denke mir jedoch: Er isst seit drei Runden an seinem Weckerl. Was macht der da?

Runde 19

Er isst noch immer.

Am Heldenplatz meditiert eine Person vor sich hin.

Erste Crocs in freier Wildbahn im Jahr 2019 gesichtet.

Plastiksackerl fegt wie Ruthenisches Salzkraut über die Heldenplatzsteppe.

Runde 20

Erste Zweifel an dieser Wanderung ausgeräumt. Bin im Rhythmus gefangen.

Sonnenbrille ist kein stylisches Element mehr, sondern verhindert Staubmigration von der Umwelt in meine Augen.

Runde 21

Menschlicher Stadtführer mit Zylinder und bunter Hose begeistert eine Reisegruppe.

Zivilpolizei biegt mit quietschenden Reifen und Blaulicht auf den Heldenplatz ab und fährt mit Tempo 140 Richtung Michaelerplatz.

Runde 22

Frau fragt jemanden am Telefon: „Wieso blutest du?“

Runde 23

Kampf in der Hundezone entbrannt. Polizist verfolgt neugierig das Spektakel außerhalb der Zone stehend.

Runde 24

Sehe Mann mit Hund aus Runde 2 wieder. Diesmal ohne Haufen und ohne Konflikt.

Runde 25

Auf einmal geht’s schnell. Gehe bereits die meiste Zeit im Schatten.

Habe in den vergangenen Stunden etwa 15 Instagram-Boyfriends wahrgenommen.

Das erste Selfie ohne Sonnenbrille.

„Des geht ned, dass des do so dosteht!“ Polizist zu einem Auto am Parkplatz.

Älteres Ehepaar sieht sich lautstark ein Musikvideo auf Youtube an. Irgendwas mit Schlager.

Runde 26

Pipi-Pause.

Runde 27 und 28

Erstmals Gehbegleitung erhalten. Straßenbeleuchtung geht an.

Runde 29

Parkplatz vor der Hofburg lichtet sich langsam.

Runde 30

Anzahl an Heldenplatz-MitstreiterInnen außerordentlich zurückgegangen, seit der Abend hereingebrochen ist.

Läuferin hat ähnliches Ziel wie ich. Nur läuft sie kreuz und quer.

Wind ist etwas schwächer geworden.

Mir sind noch nie die vielen Schornsteine am Dach der Präsidentschaftskanzlei und der Hofburg aufgefallen.

Runde 31

Gehörsinn verstärkt sich mit stetiger Dunkelheit.

Licht mächtiger Scheinwerfer knallt auf die Nationalbibliothek.

Runde 32

Je länger der Abend, desto kleiner die Hunde.

Runde 33

Heute Einlass in der Säulenhalle? Wengan abshaken warad’s.

Hab mich gerade dabei erwischt, nichts gedacht zu haben.

Runde 34

Bekomme mit, was sich hier am Platz ändert. Diese Person sitzt jetzt woanders, diese Person ist weg, dieses Sackerl liegt woanders.

Runde 35

Lauf- und Fitnessgruppen erobern den Heldenplatz.

Runde 36

Laufgruppen sind weg, Spaziergänger wieder da.

Einen Satz aufgeschnappt: „Let’s go to Alexander the great“. Meine Frage: Wo gibt’s hier in Wien bitte eine Alexander-der-Große-Figur?

Sehe ersten Stern am Himmel.

Bekomme Besuch per Rad. Mir wird eine Schokolade vorbeigebracht.

Runde 37

Sehe bereits sieben Sterne.

Bei zwei Straßenlaternen sind die Leuchten ausgefallen.

Runde 38

Fühle mich als Hausmeister/Aufpasser des Heldenplatzes.

Bei Pavillon 1 dürfte niemand mehr arbeiten, brennt kein Licht mehr. In Pavillon 2 wird noch in zwei Räumen gearbeitet.

Runde 39

Pavillon 2 brennt nur mehr ein Licht.

Summe Walzerklänge vor mich hin. Entweder ist mir stinkefad oder es ist anstrengend.

Runde 40

Dritte Laterne ist ausgefallen!

VIER! Vier Laternen zeigen die dunkle Seite ihrer Macht!

#Klimawandern verbreitet sich auf twitter.

Runde 41

Spüre leichten Ziehen in meiner rechten Hüfte.

Sehe jetzt weniger Sterne wie am frühen Abend. Die Lichtverschmutzung hat offenbar Fahrt aufgenommen.

Zwei junge Burschen, dem Anschein nach direkt von der JKU kommend, rauchen etwas, das für Frühling in der Luft sorgt.

Städtischer Straßenrandputztankwagenfahrer tankt Wasser in seinen Straßenrandputztankwagen. Zugegeben, die Straßenränder sind verdammt sauber.

Runde 42

Wind wird stärker. Zeitungen, Pappbecher und Plastiksackerl fliegen herum.

Runde 43

Erwische mich dabei, dass ich länger als eine Sekunde die Augen während dem Gehen geschlossen habe.

Berühmt berüchtigte 1/3-Höhenmeter von der Wiese zum Parkplatz vor der Nationalbibliothek als Heldenplatz-Leitn getauft.

Runde 44

Zweites Licht bei Pavillon 2 brennt wieder. Was vergessen?

Großer Aufbruch zum Opernball! Taxis und schwarze, große Autos sammeln Menschen vor dem Bundeskanzleramt ein. Offenbar noch fleißig vorgeglüht worden.

Klimawandel schreitet enorm voran! Frackträger am Heldenplatz gesichtet!

Die beiden Burschen von Runde 41 gehen laut lachend Richtung Michaelerplatz.

Runde 45

MA48 strömt in Einzelmanneskraft aus und nimmt unliebsame Miststücke in Sicherungshaft.

Runde 46

Drei Fledermäuse gesichtet.

Runde 47 und 48

Wanderbegleitung für zwei Runden sowie Falafel-Sandwich-Lieferung erhalten.

Runde 49

Polizei dreht ihre Runden am Heldenplatz. So wie ich, nur mit dem Auto.

Runde 50

Nicht alle Miststücke sind in Sicherungshaft gesteckt worden.

Runde 51 bis 56

Gehbegleitung erhalten. Kurz verfolgt von einer durch Wind angetriebenen Red Bull Dose, zuckerfrei.

Runde 57

Rathaus und Nationalbibliothek sind nicht mehr beleuchtet.

Runde 58

Ich höre die ersten Vöglein zwitschern, es ist 2 Uhr.

Polizeiauto nähert sich, Polizistin steigt aus, ein bekanntes Gesicht. Sie ist meine frühere Nachbarin. Nettes Geplaudere wird von einem Einsatzruf unterbrochen.

Aufruhr beim Volksgarten. Daher der Polizeieinsatz. Enten quacken im Park. Aufruhr aber nicht der Enten wegen.

Runde 59

Taxiarmade verkehrt am Heldenplatz. Wohl am Weg zur Oper.

Runde 60

Gehe seit Runde 51 in der Gegenrichtung. Ganz anderes Gefühl, fast orientierungslos komme ich mir vor.

Ich will die Straße queren, bleibt ein Taxi vor mir stehen.
„Taxi?“
Verneinen.
„Uber?“
„Zu Fuß gehen.“
„Ok!“

Runde 61

Bin in der Mitte der Nacht angekommen. Fast keine Menschen, leises Vogelgezwitscher, laute Taxis.

Runde 62

Laut gegähnt.

Runde 63

Bin das Auge eines Mülltornados. Plastiksackerl und Papierfetzen drehen sich im Wind um mich herum.

Säulenhalle hat Sperrstunde, wackelige Gestalten kommen heraus.

Ersten Zeitungsaussträger gesichtet.

Runde 64

Die erst Bim fährt wieder, der Verkehr nimmt Fahrt auf.

Runde 65 bis 75

Gehbegleitung erhalten.

Im Pavillon 2 geht das Licht im ersten Stock an.

Wildbiene gesichtet.

Ersten Hund mit Halter gesichtet.

Gegangen und geplaudert.

Runde 76

Krönung! Punkt 8 Uhr an der öffentlichen Bedürfnisanstalt am Graben eingetroffen, als erster Mensch auf ein frisch geputztes WC gekommen. Von der Klodame sogar persönlich zur Kabine und zum Thron geführt worden.

Krähen torkeln herum und suchen Essbares.

Ich suche eine Sitzbank am Heldenplatz auf, genieße Essbares und lasse mich von der Sonne wärmen. Versuche es zumindest. Müdigkeit und Kälte lassen mich nicht mehr los, ich zittere. Kann mich nicht mehr erwärmen und fahre nach 76 Runden und 21 Stunden nach Hause.



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