Auch wenn meine Wanderbeine schon zigtausende Kilometer hinter sich gebracht haben, gibt es immer wieder Neues für die Wanderschuhe zu entdecken. So passiert bei der 24-Stunden-Wanderung am Donausteig Mitte Oktober 2016. Kein Asphalt, kein Laub, keine Erde, kein Schotter. Nein, alles nichts von dem. Ich kann nun erstmalig berichten, dass ich einen neuen Bodenuntergrund begangen habe. Oder seid ihr schon mal auf Bierkapseln gelaufen?
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Die Brutstätte der Bierkapseln befindet sich unweit von Esternberg in der Region Sauwald. Und gesehen haben wir das bierige Anwesen im Zuge der 68 Kilometer langen 24-Stunden-Wanderung am Donausteig, an welcher ich und 88 andere Wandermenschen teilgenommen haben. Ihr erwartet euch jetzt einen Leidensbericht? Tja, anders als bei der 24-Stunden-Tour am Moselsteig im vergangenen Jahr, war das Leid gar nicht besonders ausgeprägt. Teilweise.
Bereits zum vierten Mal veranstaltete das Hotel Donauschlinge im Jahr 2016 die 24-Stunden-Wanderung am Donausteig und bereits zum vierten Mal war bei vielen TeilnehmerInnen der Grat zwischen Freud und Leid besonders schmal. Zwischen 19 und 69 Jahren gestaltete sich der bunte Menschenmix, zwölf TeilnehmerInnen stachen als der harte Kern hervor. Sie waren bereits zum vierten Mal bei der 24-Stunden-Tour dabei.
Meine zweitlängste „Tagestour“ beginnt
Es ist Samstag, der 15. Oktober 2016, 6 Uhr früh. Mein Wecker läutet, während die ersten Menschen schon im Frühstücksraum sitzen und sich Kaffee schlürfend auf die bevorstehenden 24 Stunden vorbereiten. Keine zehn Minuten später stehe ich ebenda, den kleinen Tagesrucksack am Vorabend gepackt und die Haare unfrisiert. Unrasiert sowieso. Später erhalte ich jedoch für mein „wenn’s um dem Mund wild ausschaut“ aber sogar ein Kompliment. Ich schweife ab.
Hier wuseln schon mehr Menschen herum als am Vorabend beim gemeinsamen Abendessen der TeilnehmerInnen, welche das Übernachtungspaket mit Anreise am Freitag und Abreise bis 17 Uhr am Sonntag gewählt haben. Ich platziere meinen Hintern an einem Vierertisch, geselle mich so zu drei Damen. Zwei von ihnen sind WiederholungstäterInnen, die dritte Wandersfrau ist ebenso erstmalig dabei wie ich. Hier erfahre ich gleich mal einen Motivationsgrund für eine 24-Stunden-Tour: das Essen. Dass dieser Grund wirklich ein Grund sein kann, habe ich im Laufe der Tour selbst erfahren.
Nachdem wir uns mehr oder weniger am Frühstücksbuffet im Hotel Donauschlinge bedient haben, wird das Mikrofon aktiviert. Die Hotel-Chefin Eva Gugler meldet sich zu Wort, stellt uns die Wanderguides noch einmal vor und hat noch organisatorische Änderungen im Gepäck. Wanderguides deshalb, weil diese 24-Stunden-Wanderung eine geführte und keine frei begehbare Tour ist. Ein Guide wandert ganz vorne, ein Guide ganz hinten und die Gruppe bleibt großteils zusammen. Natürlich zieht sich die Gruppe immer wieder mal in die Länge, aber spätestens bei den unterschiedlichen Labstationen trifft man wieder auf die geschlossene Gesellschaft. Organisatorische Änderungen deshalb, weil ein Wegabschnitt des Donausteigs der ursprünglichen Route wegen Windwurf gesperrt werden musste. Die erste Etappe musste also leicht verändert werden. So sind statt der Teufelszahl 66,6 Kilometer, nun 68,3 Kilometer zu gehen. A scho wurscht!
Während die Füße langsam zu jucken beginnen, hat Friedrich Bernhofer, Vorsitzender der WGD Donau Oberösterreich Tourismus GmbH, das Mikrofon in der Hand und entlässt uns mit motivierenden Worten in die Wildnis. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. 89 TeilnehmerInnen aus Österreich und Deutschland wollen wandern, sich plagen und schinden, 24 Stunden herumgehen und Spaß haben. So schnell geht’s dann aber doch nicht. Zwei Busse vom Unternehmen Heuberger-Reisen bringen uns nämlich ins bayerische Erlau, wo wir mit den ersten 47,3 Kilometer starten. Getratsche und Gelächter begleitet die Busfahrt nach Erlau, mit dem Geräuschpegel machen wir jedem Schulausflug Konkurrenz.
Wer nicht wirklich weiß, wo die Grenze zwischen Österreich und Deutschland verläuft, sollte einfach mal auf die Dächer blicken. Hat beinahe jedes zweite Haus eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, befindest du dich in Deutschland.
Wann, wenn nicht jetzt. Erinnerungsfotos werden geschossen, wenn alle Gesichter noch frisch und unverbraucht aus der Wäsche schauen. Ohne großes Tamtam starten wir mit einer Verspätung von 15 Minuten die 24-Stunden-Wanderung am Donausteig. Manfred, der Wanderguide an vorderster Front, gibt das Tempo vor. Am hinteren Ende passt Michaela auf, dass niemand verloren geht oder durch eine Pinkelpause zurückgelassen wird. Manfred sprang kurzfristig für Michaela ein, welche erst am Tag davor nach einer Angina aus dem Bett kroch. Michaela ist nicht nur hier als Guide aktiv, auch bei 24 Stunden für Nepal im südlichen Oberösterreich ist sie mit Gerlinde Kaltenbrunner wandernd unterwegs.
Den Asphaltweg lassen wir bald hinter uns und steigen auf einer Forststraße die sogenannte Donauleiten empor nach Schörgendorf. Ich komme hier schon mit einigen unterschiedlichen Menschen ins Gespräch. Vor allem genieße ich anfänglich interessante Dialoge mit Klaus, welcher nicht nur ein guter Gesprächspartner ist, sondern auch an der König-Max-Höhe seinen Flachmann auspackt. Noch ein weiterer Grund sich in seiner Nähe aufzuhalten.
Während ich mir einen scharfen Vormittagsschluck aus dem Flachmann genehmige, blendet mich ein grelles Etwas, was sich bislang noch hinter der Wolkendecke versteckt hielt, aber nun die langärmligen Shirts hinfällig machen lässt.
Erste Stimmen von Wiederholungstätern lassen mich wissen, dass der Fitnessfaktor der Wandergruppe von heuer wohl etwas besser sei als jener der Gruppe im vergangenen Jahr. Voriges Jahr hatte sich die Gruppe auf den ersten Minuten schon in die Länge gezogen, immer wieder mussten die vorderen Wanderleute längere Pausen einlegen, damit das hintere Feld aufschließen konnte. Diesen Umstand gibt es zwar heuer auch, doch reicht die Wartezeit der Vorderleute meist nur für eine schnelle Blasenentleerung.
Nach dem aussichtsreichen Güterweg steuern wir wieder den dichten Mischwald der Donauleiten an. Dass hier nicht nur der Wald dicht sein kann, sondern auch der Nebel, musste am Weihnachtstag 1941 die Besatzung eines Flugzeuges feststellen. Dieses stürzte nämlich hier im Wald ab. Nicht das einzige in der Region, wie wir in weiterer Folge feststellen werden.
Am Weg zur ersten Labstation bei der Bäckerei Grafmühle werden die Schuhe auf ihre Wasserfestigkeit getestet, am Rastplatz Donaublick – wie der Name es sagt – auf die Donau geblickt und auf abwechslungsreichen Wegen gewandert.
Bio-Bäckermeister und Müller Josef Bauer und Familie begrüßen uns herzlich und haben für uns in den Gasträumen und im Holzofenraum in einer der ältesten Mühlen Bayerns aufgetischt. Es gibt Kaffee, Radler und Krapfen. Wer vom Frühstück noch immer gut bedient ist, wird von Josef Bauer in die Geschichte der 1. Bio-Mühle im Raum Passau eingeweiht und lernt in einem Crash-Kurs das Müllerhandwerk kennen. Biologische Lebensweise wird hier gelebt, drückt sich diese Tatsache auch schon im Firmentitel „Bio vom Korn bis zum Laib“ aus. Es ließe sich noch viel länger hier aushalten, auch weil ich nicht erfahren habe, was passiert, wenn man die Tür zur Tigerkatze öffnet. Die kleine Bäckertochter hat uns nämlich davor gewarnt. Aber sie hat uns auch Teebeutel auf den Tisch gelegt: „Für die Füße zum Waschen.“ Vielleicht sollte ich die eingesperrte Tigerkatze nicht zu ernst nehmen.
Der Zeitplan ist straff. Wir sind ja auch nicht auf einem Pensionistenausflug, bei welchem wir ein paar Kilometer wandern und dann stundenlang im Wirtshaus sitzen. Wiederum sehr abwechslungsreich folgen wir dem Donausteig weiter Richtung Passau, begleitend vom Goldsteig und etwas später auch vom Böhmischen Jakobsweg. Ebenfalls ständig in unserer Nähe befindet sich ein zwei Mann starkes Team des Roten Kreuzes mit Fahrzeug. Sie folgen uns auf Schritt und Tritt und sind alle paar Kilometer an zugänglichen Stellen zu finden, stets bereit aufkommende Schmerzen zu behandeln oder im Notfall handeln zu können. Viel haben sie heute jedoch noch nicht zu tun.
Vorbei am renaturierten Erdbrüst-Feuchtgebiet, erblicken wir bald die ersten Anzeichen von Passau. Die Veste Oberhaus lässt die Objektive glühen, ehe bergab schreitend Passau in voller Größe vor uns erscheint. Wir überqueren die Ilz, ignorieren sämtliche Straßenverkehrsordnungen – zu kurze Grünphasen oder zu lange Menschenschlange – und übersetzen mit der Donau den zweiten Fluss in Passau. Unsere zweite Labstation befindet sich nämlich gegenüber dem Rathaus am Wasser. Das Schiff Sissi von Wurm + Köck lädt zur Drei-Flüsse-Fahrt mit Mittagessen ein.
Nach dem schmackhaften Mittagessen suche ich die Sonnenterrasse am Oberdeck auf. So muss sich also der gute Leonardo gefühlt haben. Nur Kate fehlt.
Alle drei Flüsse wurden befahren, die Sissi legt wieder an. Franz hab ich jedoch keinen gesehen. Nach dem monarchischen Ausflug ins Blaue spazieren wir durch die Passauer Altstadt, überqueren den Inn und verlassen die freie Kreisstadt. Die letzten Siedlungshäuser lassen wir hinter uns und erreichen im Haibachtal das Staatsgebiet von Österreich. Im Sommer wütete hier ein Hochwasser, die Schäden sind noch immer zu sehen. Der Sauwald hat mit dem Haibach ordentliche Wassermassen in die Donau runterschießen lassen, dessen Hochplateau wir langsam empor steigen. Volksetymologisch rührt der Begriff Sauwald von den dort ansässigen Wildschweinen her. Tiere sind hierbei gemeint. Eher leitet sich der Name aber von PasSAU selbst ab.
Breite Wiesenwege, aussichtsreiche Güterwege, schattige Wanderwege im Wald, romantische Feuchtgräben, wiehernde Pferde, tuckernde Traktoren und lustige Gespräche führen uns hinab ins Donautal zum Gasthaus Nibelungenstüberl. Kilometer 25 ist hier absolviert. Es wird mit ersten Blasenpflastern gedealt, Kuchen, Kaffee und Zuckerwässer freuen sich über ihre Verwertung. Unbeteiligte werden über unser Unterfangen aufgeklärt, so richtig überzeugen konnten wir niemanden von der Idee einer 24-Stunden-Wanderung.
Wenn nach 25 Kilometern der erste etwas eintönige Abschnitt folgt, dann darf man eigentlich nicht meckern. Mach ich auch nicht. Die Streckenführung ist meiner Meinung nach äußerst abwechslungsreich, Wegbeschaffenheiten wechseln sich stetig ab, aussichtsreiche Wege wechseln sich mit Waldwegen ab. Dennoch geht’s jetzt mal eine halbe Stunde am Radweg die Nibelungenstraße entlang, ehe nach der überdachten Kösselbachbrücke der Weg hinauf zum Sauwald und zu windygen Geschäften eingeschlagen wird.
Jetzt schließt sich vorerst der Kreis der Bierkapseln. Zwischen Unteresternberg und Dietzendorf befindet sich ein Haus. Ja, mit etwas Überlegung muss ich doch sagen, dass es ein Haus ist. Der Weg daran vorbei ist gepflastert mit Bierkapseln. Besonders häufig finden sich hier Bierkapseln der Marke Baumgartner wieder, ein im Innviertel sehr häufig umgesetztes Bier aus Schärding. Vor allem hier bei Esternberg dürfte wohl der umsatzstärkste Abnehmer zu finden sein. Und der ältere Herr, unverkennbar als jener, welcher für die Bierkapseln und die Partyfässer an der Hauswand verantwortlich sei, ist sogar in freier Wildbahn unterwegs und hat sein Boot gestartet. Ja, sein Boot. Doch irgendwie läuft der Motor nicht ganz rund. Fährt offensichtlich nicht mit Baumgartner Bier. Er meint, dass er heute noch eine Ausfahrt startet. Ob er im Hinterhof einen eigenen Bierkanal gegraben hat, konnte ich nicht sehen. Ein Auto für den Bootsanhänger habe ich jedenfalls nicht gesehen.
Die Bierdiskussion in der Wandergruppe ist jedenfalls eröffnet. Welches Bier ist trinkbar und welches wird nicht mal zur Fußwäsche genommen? Viele Brauereinamen fallen, einhellige Meinungen fehlen, an Maßlosigkeit kaum zu überbieten, innerhalb der Diskussion braut sich was zusammen, beinahe wäre Hopfen und Malz verloren, bald hat man für eine weitere Diskussion aber keinen Bock mehr und wir wandern trockenen Fußes weiter. Vorbei sind nun die Bierwortspiele, die Wandertour noch lange nicht.
Nach einem kurzen Marsch bergab, folgt bald wieder der Aufstieg zum Hopfplateau, pardon, Hochplateau. Am Weg nach Dietzendorf verabschiedet sich die Sonne und wünscht uns eine gute Nacht. An einer aussichtsreichen Anhöhe wird es Zeit für Warnwesten und Stirnlampen. Ebenso gilt es überflüssigen Ballast loszuwerden, funktioniert am besten in einer Reihe mit entsprechendem Sicherheitsabstand.
Wir sind bei Kilometer 33 gelandet. Ein Nachtfalter verwechselt mein Jäckchen mit einer überdimensionalen Blume, sagenhaft. Ebenfalls sagenhaft die Geschichte der Burg Krämpelstein, welche sich unweit von Dietzendorf befindet. Auch genannt als Schneiderschlössl, weil ein Schneider – der Sage nach – in dieser Burg lebte und in die Donau stürzte, als er seine Ziege im Strom bestatten wollte. Was lernen wir daraus? Bestatte niemals deine Ziege in der Donau. Und auch wenn mittlerweile ein wenig in der Gruppe über Blasen und schmerzende Füße gemeckert wird, bestattet musste niemand werden. Die Herren vom Roten Kreuz hatten wenig zu tun.
In der vorgefertigen Beschreibung der Tour wird erwähnt, dass die mächtige Burg Vichtenstein besonders auffällt. Ja, irgendwo in der Dunkelheit wird sie schon sein, nur nicht so stark beleuchtet wie die Pfarrkirche. Die letzte längere Pause der „Tagestour“ wird jedenfalls in Vichtenstein gegenüber dem Gemeindeamt abgehalten, selbst der Bürgermeister der Gemeinde schließt sich hier unserer Wanderrunde bis zum Endpunkt in Stadl an. Bei Gebäck, Würstl, Käse, Kuchen, Kaffee, Tee und anderen Getränken treten die ersten Ermüdungserscheinungen auf. Kilometer 40 ist absolviert. Der Vollmond kämpft sich durch die Wolkendecke, die Temperatur fällt kaum auffallend auf noch angenehme Bereiche.
Der höchste Punkt der heutigen Tour steht uns jedenfall erst bevor. Von Vichtenstein aus gilt es jedenfalls annähernd 300 Höhenmeter an den Ostsattel des Haugsteins (895m) zur Jagabild-Gedenkstätte zu überwinden. Nicht alle kommen hier herauf. Manche zollen den Anstrengungen Tribut und lassen es gut sein mit der Tour, bevor der absolute Absturz eintritt. Welch gute Überleitung, ist doch am 12. September 1943 hier am Haugstein ebenfalls ein Flugzeug abgestürzt. Sauwald und Böhmerwald kommen bei Flugzeugen anscheinend nicht gut an.
Gut kommt auch der Regen nicht an, der kurz vor dem Ende der 47 Kilometer langen Tour in Stadl auf uns niederprasselt. Da hilft nicht mal das Beten am Kreuzweg hinab vom Jagabild, benetzt durch Regenwasser steigen wir in die zwei wartetenden Busse ein und fahren zurück zum Hotel Donauschlinge. Wie sanfte Lämmchen sitzen wir alle auf den Sitzen, den Mund geschlossen, die Augenlider machen es dem Mund nach. 47 Kilometer gehen im wahrsten Sinn nicht spurlos an einem vorüber. Dabei erwarten uns noch immer 21 Kilometer.
Etwas dem Zeitplan hinterher hinkend erreichen wir das Hotel, die Küche ist im vollen Betrieb, Eva Gugler – ebenfalls noch ohne Schlaf – erwartet uns. Es ist Mitternacht, wir bedienen uns am üppigen Buffet, obwohl mein Hunger nicht sonderlich groß ist. Dennoch esse ich viel, zu viel, wie sich später noch herausstellt. Anfänglich herrscht etwas Chaos betreffend dem Startzeitpunkt der Nachtschleife, vorher dreiviertel 1 Uhr, kurz danach auf einmal halb 1 Uhr. Für drei Wandersmenschen kommt die zweite Info jedoch zu spät. Später erfahre ich, dass sie auf ihren Zimmern waren, sich frische Kleidung überstreiften und mit dreiviertel 1 im Kopf zum Startpunkt gingen, wir jedoch schon eine Viertelstunde unterwegs waren. Man versuchte noch mit dem Auto nachzufahren, doch die Route verlief sich bald im Wald und bei Nacht war diese schwierig auszumachen. Sie mussten also ohne Nachtrunde ins Bett gehen. Hier sollten die VeranstalterInnen das nächste Mal etwas sorgsamer mit der Information umgehen und sicherstellen, ob auch wirklich alle hier sind, die mitgehen wollen.
Ja, es mueß seyn. Die letzte Donausteig-Runde gilt es zu begehen, will man die 24-Stunden-Tour erfolgreich abschließen. Der anfängliche Regen hat sich wieder in Luft aufgelöst. Langsam aber doch werden meine Füße etwas schwerer, auch die Augen haben schon bessere Zeiten gesehen. Ich erwische mich sogar einmal, dass ich für eine Sekunden während dem Gehen am Asphalt die Augen geschlossen habe. Ultra-Power-Nap.
Am Weg die Donauleiten rauf sehen wir uns mit einer ziemlichen Tempoverschärfung konfrontiert. Ungewollt. Der bislang an vorderster Front gehende Guide Manfred hat das Schlusslicht übernommen, vorne ist nun ein rasch gefundener Ersatz unterwegs, welcher sich von den vordersten Wandermenschen etwas treiben lässt. Das Feld zieht sich rasch in die Länge, ehe die Handbremse notwendigerweise angezogen wird. Manfred übernimmt wieder das Kommando und die Gruppe bleibt nun wieder mehr oder weniger geschlossen. Manche Wandermenschen haben schon einen eleganteren Gang aufs Schlögener Parkett hingelegt, die Gespräche werden weniger, es wird öfter auf die Uhr geblickt. Bei mir ist grundsätzlich alles im grünen Bereich, schwere Füße und schwere Augen gehören dazu. Jedoch macht sich bei mir etwas anderes bemerkbar. Wer mit unschönen und menschlichen Details nichts anfangen kann, sollte jetzt weiter zum nächsten Bild scrollen und weiterlesen. Allen Anderen erzähle ich nun meinen körperlichen Zwischeneinbruch ab Kilometer 54.
Wie schon erwähnt, habe ich für meine Mitternachtsbedürfnisse zu viel gegessen. Das macht sich im Laufe der Tour bemerkbar, indem der Bauch zum Grummeln beginnt, nach und nach der Blähbauch immer größer wird, kein Darmwind aber aus meinem Körper entweichen kann. Ich öffne den Gürtel, halte meinen Bauch, die Schmerzen werden größer. Ich krümme mich immer mehr nach vor, während dem Gehen reibe ich meinen Bauch, das Grummeln nimmt zu. Nicht nur einmal beschleicht mich der Gedanke, einfach in die Natur zu entfliehen und Montezumas Rache einfach ihren Lauf zu lassen. Wieviele Kilometer sind es noch zur Hoamat, der letzten Labstation für heute? Ich schaffe es zur Hoamat, kann mich an den Weg dorthin aber kaum erinnern. Nur einmal warten wir vor einer Hauptstraße, unterhalte mich mit Vroni, die selbst schon mit aufkommenden Schmerzen zu kämpfen hat. Meine einzige Erinnerung zur Hoamat. Wie froh bin ich über die grellen Lichter, über den Gang durch die Eingangshalle und das freie Toilettenkammerl. Eigentlich ein Fall fürs Rote Kreuz, oder zumindest für eine Durchfalltablette, verbringe ich den ersten Teil der Suppenrast in der Hoamat im Lokus. Nachdem mein Körper die Dämonen abgestoßen hat, kann er sich wieder in die Gesellschaft wagen. Jedoch schaffe ich kaum mehr als einen Anstandssuppenteller, während ich kohlensäurefreie Getränke an der Labestation vermisse. Versuche nun alles zu vermeiden, was irgendwie blubbernd, blähend oder sonst wie meinen Magen reizen könnte.
Es ist Viertel nach Vier, wir verlassen die Hoamat und haben die letzten acht Kilometer vor uns. Mein Bauch hat sich beruhigt, sanftes Grummeln begleitet mich zwar immer, sorgt aber dafür, dass ich nicht im Gehen einschlafe. Wir wandern durch den verschlafenen Ort Haibach und setzen den Weg hinab der Donauleiten nach Schlögen fort. Ich weiß nicht mehr genau wo, aber kurz vor dem Donautal hat sich die Wandergruppe wieder ein wenig auseinandergezogen. Ich halte mich im letzten Drittel auf, zwanzig Meter vor und hinter mir geht niemand. Der Mond scheint hell auf den sanft absteigenden Wiesenhang, im Donautal steigt Nebel auf, ich schalte meine Stirnlampe aus. Dieser Moment. Den ganzen Tag ist man immer irgendwie in Begleitung eines anderen Menschen, ist im Grunde nie alleine, aber hier, auf diesem vom Vollmond beschienenen Wiesenhang bin ich ganz für mich alleine. Scheinbar. Genussvoll, irgendwie besonders, so vollkommen. Einfach nur gehen. Wissend, dass die 24-Stunden-Wanderung bald vorüber ist, ein letztes Genießen des puren und freien Gehens.
Abwärts. Immer bergab geht’s hinab zum Hotel Donauschlinge, vorbei am berühmten Schlögener Blick, welcher aus vielerlei Gründen um 6 Uhr eher unbeachtet bleibt. Abwärts. Immer abwärts. Und dann dieser Moment, du siehst die Lichter des Hotels, weißt, dass nur mehr wenige Meter dich vom Ziel trennen. Erleichterung macht sich breit. Die Zahl 24 führt uns flackernd zum Ziel, Chariots of Fire übernimmt die Führung musikalisch, während wir im Applausregen der MitarbeiterInnen und OrganisatorInnen das Ziel erreicht haben. 68,3 Kilometer und 2.183 Höhenmeter sind geschafft.
Nicht schon wieder essen. Das Frühstücksbuffet erwartet uns, hinunter bringe ich im Moment aber nichts. Außer Bier. Bier geht. Und so dominieren statt Frühstückskaffees mehrere Biere unseren Frühstückstisch. Ebenfalls wieder früh auf den Beinen ist Friedrich Bernhofer, welcher gemeinsam mit Eva Gugler die Urkunden und Erinnerungs-T-Shirts an die TeilnehmerInnen ausgibt. Nach und nach leert sich der Frühstücksraum, manche fahren direkt nach Hause, manche – wie ich – bleiben noch im Hotel, bis 17 Uhr steht das Zimmer zur Verfügung. Ich bin ja bekannt als Huckableiba, so ist unser Tisch jener, welcher sich als letzter auflöst. Kurz nach 9 Uhr vormittags krieche ich ins Bett. Arm an Schlaf, arm an Erholung. Dafür reich an Erfahrung und reich an Bekanntschaften. Schlaf und Erholung können jederzeit nachgeholt werden, Erfahrungen und Bekanntschaften machst du aber nur im Moment. Daher wird mich die 24-Stunden-Wanderung am Donausteig wiedersehen. Weil’s einfach sagenhaft Spaß macht. Und weil das Essen gut ist.
Die nächste 24-Stunden-Wanderung findet am 14. Oktober 2017 statt!
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DANKE
Danke an Eva Gugler, an Friedrich Bernhofer und an das gesamte Organisationsteam, die MitarbeiterInnen im Hotel, das Busunternehmen für die Transporte, das Team von Wurm + Köck für die Verpflegung auf der Sissi, dem Nibelungenstüberl, der Familie Bauer in der Grafmühle, dem Team im Hoamat und den Wanderguides. Die Organisation war nahezu perfekt, das eine oder andere Problemchen kann im nächsten Jahr beseitigt werden.
Danke auch an die AutofahrerInnen, welche mit so einer großen Wandergruppe kaum überfordert wirkten und sich geduldig hinten anstellten. Ebenfalls ein großes Dankeschön an die beiden Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Auch wenn euer Arbeitstag wenig abwechslungsreich war, am besten ist ja dann doch immer, wenn ihr gar nicht gebraucht werdet, oder? Danke für euer Engagement. Danke an die vielen Wandermenschen, welche ich bei der Wandertour kennenlernen durfte oder auch erst bei der Urkundenverleihung zu Gesicht bekam. Danke für den spendierten Schnaps, das bezahlte Bierchen, die unkomplizierte Mitfahrt. Es war mir eine Freude!
Diese Wandertour erfolgte auf Einladung vom Hotel Donauschlinge. Dieser Umstand ändert nichts an meiner Kritikfähigkeit.
8 Kommentare
Dem Kommentar von Friedrich B. kann ich mich nur anschließen. Der Mann ist gut, die Schilderungen sind sehr lebendig und die Fotos auch gelungen. Habe auch von der 24h Burgenland Extrem Tour gelesen und bin total begeistert von Deinen Berichten. Leider ist es für die Diesjährige Bgld-Tour zuspät um mich anzumelden, aber bei der nächsten Möglichkeit einer 24 Stunden-Wanderung bin ich dabei! Danke für die Infizierung.
Mit lieben Wandergrüßen an alle Leser.
Coole Idee! Muss ich auch mal machen, wenn ich in der Gegend bin! Danke für den bericht. LG Thomas
Wenn du am 14. Oktober 2017 in der Gegend bist, dann sieht’s gut mit einer 24-Stunden-Tour bei dir aus. ;-)
LG, Martin
Und wem 24 Std. zu wenig gibts auch als Weitwanderweg mit 400 Km
in 42 Etappen gestückelt, oder im ganzen + IVV Stempel
http://www.donauregion.at/wandern-am-donausteig.html
Hi, toller Bericht. Hätte noch eine Frage. Wie schlimm sind die Höhenmeter? Wenn nan regelmäßig wandern geht, schafft man das? Sibd Diese sehr steil? Lg
Liebe Claudia,
danke für deine Nachfrage. Es ist jedes Jahr eine andere Strecke. Die von mir 2016 gegangene Strecke ist somit mit der heuer geplanten Strecke nicht vergleichbar, daher kann ich dir wenig Konkretes zu den Höhenmetern sagen. Außer, dass das Donautal doch recht steil ist und manche Steigungen doch steil sind. Wer aber regelmäßig wandern geht, sollte mit den Höhenmetern bzw. der Steilheit nicht die größten Probleme haben.
Liebe Grüße,
Martin
Eine ganz tolle, sehr lebendige Beschreibung mit vielen eindrucksvollen Fotos. Der Mann ist gut !
Danke für die lobenden Worte! So lebendig wie die 24-Stunden-Wanderung. :)