Die erste Nacht in einer überdimensionalen Pilgerherberge ist geschlagen. Ein dreifaches Hoch auf Ohrenstöpsel. Diese haben sich in dieser Nacht als absolut wichtiges Utensil herausgestellt, die Notwendigkeit dieser kleinen Dinger kam mir aber erst irgendwann mitten in der Nacht in den Sinn.
Kurz nach dem Aufstehen traf ich Rafael, den kiffenden Franzosen. Er sieht jedoch nicht besonders glücklich aus, seine Füße sind eingebunden, er humpelt zum Kaffeeautomaten. Er hat die Tour über die Pyrenäen eindeutig unterschätzt, nun sollte ihm das eine Lehre sein, meinte er. Ich verabschiede mich von ihm und sollte ihn nie wieder sehen, ich hoffe er ist nicht immer noch unterwegs.
Meine Riesen-Mega-Hyper-Blase an der Ferse wurde bestens von mir versorgt. Ich legte mir einen eigenen Geh-Stil zu, damit ich die Schmerzen nicht spürte. Allem Anschein nach dachte man wohl, ich sei dem Ministry of Silly Walks entflohen. „Besser als Höllenschmerzen“, sagte ich mir. Auf den ersten Kilometern der Wegstrecke traf ich wiederum Manni. Seine Rammelgeschichten ließ er zum Glück am Klosterboden von Roncesvalles. Wir besorgten uns ein Frühstück in einer Bäckerei, bald jedoch trennten sich wieder unsere Wege, da er mein Humpel-Tempo nicht mehr mitgehen wollte. Er zog von dannen und ward nie wieder gesehen.
Ich traf viele Menschen, man grüßte sich, doch nur mit wenigen Menschen ging man ein kurzes Stück gemeinsam. So mit Jean-Luc, einem Franzosen aus Bordeaux. Er sprach fast kein Wort Englisch, ich sprach fast kein Wort Französisch. Doch irgendwie schafften wir es eine Konversation aufzubauen und verstanden uns prächtig. Vielleicht auch nur deswegen, weil man verstanden hatte, was man verstehen wollte. Er jedenfalls deutete mir, dass er nur bis Leon wandert und danach wieder nach Hause fährt. Den Rest nach Santiago wollte er ein Jahr später nachholen.
Die Strecke war abwechslungsreich und hügelig. Asphaltstraßen wurden von Waldsteigen abgelöst, man durchquerte kleine Ortschaften und die Sonne brachte jeden zum Schwitzen. Die Tollwutbrücke markiert den Ort Zubiri, unter der Brücke fließt der erfrischende Rio Arga hindurch. An diesem Fluss halte ich meine geschundenen Füße in das kalte Wasser und spekuliere mit dem Gedanken, doch schon hier in diesem Örtchen die Nacht zu verbringen. Irgendwas jedoch drängte mich doch noch weiter zu gehen. Ich trocknete meine Füße wieder ab, schlüpfte in die Waldviertler und machte mich auf den Weg in das 5,6km entfernte Larrasoana. Nach wenigen Minuten erblickte ich jedoch einen Wegweiser mit der Entfernungsangabe „2km Larrasoana“. Das ging jetzt aber flott. Ein paar Minuten später folgte ein weiterer Wegweiser: „2km Larrasoana“. Hmm. Gut, noch immer zwei Kilometer. Nach ca. 20 Minuten war es dann soweit. Es folgte der dritte Wegweiser und dreimal dürft ihr raten, was darauf geschrieben stand: „2km Larrasoana“. ‚Jetzt wird’s aber unlustig‘ dachte ich mir.
Die Sonne gab ihr Bestes, ich bald nicht mehr. An einem im schatten liegenden Stein sah ich von der Ferne eine Frau sitzen, zerknirscht und total am Ende. „Immer nur zwei Kilometer, nie kommt man an!“ Sie hieß Pia, war aus Berlin und hat sich am Vortag auf ein Foto von mir geschummelt (diese eine Frau mit dem kessen türkisen Höschen im Hintergrund). Ich konnte sie wieder irgendwie motivieren und gemeinsam schafften wir es noch nach Larrasoana. Als wir an einem Haus mit einem befestigen Tierschädel-Skelett vorbeigingen, meinte Pia: „Wenn du mich nicht mitgeschliffen hättest, würde ich bald so aussehen.“
Die Herberge in Larrasoana kam zur rechten Zeit. Pia und ich beschlossen sich ein Stockbett zu teilen. Im benachbarten Gasthaus genehmigten wir uns ein Pilgermenü, es gab Gulasch und reichlich Rotwein. Viele andere Menschen lernte ich kennen, die meisten waren aus Deutschland angereist. Hape Kerkeling hat dort wohl ordentlich eingeschlagen. Der Abend war lustig. „Vino tinto, por favor.“ So bemerkte ich auch nicht das Fehlen der Ohrenstöpsel, welche wohl irgendwo in den Tiefen des Rucksackes verschwunden sind.
Hier kommst du zum nächsten Tag – von Larrasoaña nach Pamplona
Kurzinformationen zur Strecke
Start: Pilgerherberge in Roncesvalles
Ziel: Pilgerherberge in Larrasoana/ESP
Streckenlänge: 28,4km
Höhenmeter: 200m
Charakteristik: gut markierter Weg, meist auf Asphaltwegen und Waldsteigen, keine besonderen Schwierigkeiten
Besuchte Pilgerherberge: kommunale Herberge, hygienischer Zustand war „ausreichend“, Kosten der Unterkunft inklusive Pilgermenü und Rotwein bis zur Vernichtung: € 24,90
Hier kommst du zum nächsten Tag – von Larrasoaña nach Pamplona
Was bisher geschah…
- Anreise nach St. Jean Pied de Port und erste Kilometer am Jakobsweg
- Huntto (FRA) nach Roncesvalles (ESP) / 21,5km
Impressionen
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