> Tag 1: Potsdam Bahnhof – Nikolassee – Teufelsberg – U-Bahn Neu-Westend
> Tag 2: U-Bahn Neu-Westend – Großer Tiergarten – Kreuzberg – Treptower Park
> Meine Movitation für die Begehung am E11
> Übersichtskarte und Höhenprofil
Wenn man einfach mal auf die ITB pfeift – das Warum ist in einem anderen Bericht erklärt – geht man am besten am Europäischen Fernwanderweg E11. So jedenfalls mein Programm.
Tag 1: Potsdam Bahnhof – Nikolassee – Teufelsberg – U-Bahn Neu-Westend
Weglänge: 30,8 Kilometer, Höhenmeter auf diese Länge fallen kaum auf
Besonderheiten: Babelsberger Park, Wannsee, Teufelsberg, eine E11-Markierung
Mit der S-Bahn lasse ich mich aus Berlin raus kutschieren, Potsdam liegt gerade noch in der Tarifzone C. Heiße € 3,30 kostet mich die halbstündige Fahrt mit der Bahn von der Station Zoologischer Garten. Grau in grau präsentieren sich der heutige und morgige Tag, soviel sei schon mal verraten. Ein Umstand, der die triste Umgebung im Übergang zwischen Winter und Frühling nicht besonders aufhellt.
Die Wegstrecke des E11 habe ich mir dank der digitalen Deutschland-Karte von Kompass (stimmt nur teilweise), dem gpx-Track von fernwege.de (ziemlich ungenau, lässt viel Deutungsspielraum zu) und der waymarkedtrails.org-Seite (die beste Referenz) zusammengeschustert und am Vorabend in meinen Berlin-Taschenatlas übertragen. Aufgrund der meist fehlenden Markierung, teilweise laufe ich auf blau markierten Wegen, blicke ich dementsprechend oft in meinen Taschenatlas.
Und schon habe ich mich das erste Mal verlaufen. Vor dem Schlosspark Babelsberg biegt ein komplett unbedeutender Weg neben einem Haus ab, der in den Park führt. Ich gehe natürlich geradeaus weiter, lande auf einmal im Gelände eines Unternehmens und stehe plötzlich mitten im abgesperrten Gelände einer „Kampfmittel-Beseitigungs“-Truppe. Ich habe die Aufmerksamkeit dreier Arbeiter erregt: „Wat machst du da?“
Nach kurzem Plausch erklären sie mir den richtigen Weg. Ich wurde nicht beseitigt.
Dann wird’s aufregend. Die erste E11-Markierung, schon etwas älter, war wahrscheinlich schon vor dem Masten hier, tritt mir ins Blickfeld. Sie soll die einzige am heutigen Tag sein. Von nun an geht’s entlang dem Griebnitzsee, farbliche Kontraste sind Mangelware, dafür gibt’s Muscheln in Hülle und Fülle.
Danach: Viel Wald, wenige Menschen. Was heißt wenige, keine. Als ob ich der einzige Depp wär, der zu dieser Jahreszeit durch den Düppeler Forst stolziert. Erst als ich zur Schießstätte komme, erhöre ich Spuren von menschlicher „Zivilisation“.
Kurz urban wird es nahe dem Bahnhof Wannsee, ehe ich beim Nikolassee in die Rehwiese übersetze und einen Grünstreifen zum Bahnhof Nikolassee weiterwandere. Hier gibt’s Menschen, und Hunde. Und Dramen à la „Mensch, mach den Hund da wech!“.
Nach dem kurzen urbanen Intermezzo folgt eine längere Tour entlang Wannsee und Havel, Menschenmangel inkludiert. Hab hier richtig viel Zeit, den Kopf abzuschalten und einfach zu gehen, mich an den kleinen Dingen zu erfreuen und am Sandstrand an eine Burg zu denken. Und ein Ohrwurm von den Ärzten verfolgt mich ab dem Strandbad Wannsee ebenfalls.
Und dann hätt‘ ich mir vor Freude fast in die Hosen gemacht. Nach langem, flachen Marsch am Sandstrand – nur wirklich sexy im Sommer – geht’s einen Wurzelsteig bergauf, sicher an die zehn Höhenmeter. Fühle mich wie in den Gutensteiner Alpen zwischen Dürre Wand und Schneeberg. Und schon stehe ich auf nahezu 80 Höhenmeter über Normalhöhennull mit Bezugspunkt Amsterdam. Auch wieder was gelernt.
Mit ein wenig Wienerwald-Flair setze ich meine Wanderung am E11 fort, pausiere in einer Unterstands-Hütte, wandere laut Karte direkt am – für mich nicht sichtbaren – Pechsee vorbei bis zum Teufelssee. Hier tummeln sich zur warmen Jahreszeit nackte Genitalien, der FKK-Bereich ist heute aber nicht in Betrieb.
Vom Teufelssee erblicke ich die halb abgefallen Abhörkugeln der ehemaligen US-Abhörstation am Teufelsberg. Lest doch ein wenig über die Geschichte des Trümmerberges im Westen Berlins nach, sehr interessant. Heute ist die Abhörstation komplett heruntergekommen und kann grundsätzlich einfach so begutachtet werden. Ein Verein bittet jedoch am Eingang um einen Beitrag, weiß aber leider nicht genau, wofür das Geld verwendet wird, während sich Kapitalismus-Kritik an den Graffiti findet. Ich frage gar nicht weiter nach…
Direkt gegenüber vom Teufelsberg befindet sich der 99 Meter hohe Drachenberg, das kahle Plateau lässt einen Rundumblick zu. Während ich den Spuren von Silvester ausweiche, denke ich mir, dass das Auge im Sommer etwas mehr über den Besuch des Drachenberges erfreut sein dürfte.
Die Stadt hat mich wieder, ich überquere die stark befahrene Heerstraße, wandere am wildschweinbehafteten Friedfhof Heerstraße vorbei und beende an der U-Bahn-Station Neu-Westend meine heutige erste Etappe am E11.
Fazit: Zu dieser Jahreszeit kann man sich keine grünen Augenblicke erwarten, das reine Gehen in nahezu vollkommener Einsamkeit steht hier im Vordergrund. Orientierungsvermögen ist absolut notwendig. Was für den Magen sollte man sich ebenfalls mitnehmen, unterwegs hat man nur sehr selten die Möglichkeit für eine Einkehr.
Tag 2: U-Bahn Neu-Westend – Großer Tiergarten – Kreuzberg – Treptower Park
Weglänge: 21,4 Kilometer, Höhenmeter noch weniger als am Vortag
Besonderheiten: Schloss Charlottenburg, Großer Tiergarten, Siegessäule, Brandenburger Tor, Denkmäler, Berliner Mauer, Kreuzberg, drei E11-Markierungen
Weiter, immer weiter. Heute führt der E11 durch die Berliner City, großteils laut ursprünglicher Wegstrecke entlang Spree und Landwehrkanal am Wasser. Dann entgeht einem aber ein wenig Geschichte und Innenstadtflair, daher habe ich ab der Charlottenburger-Brücke eine eigene E11-Variante erstellt, welche über das Brandenburger Tor und Potsdamer Platz zur Mehringbrücke führt und erst hier wieder auf den normalen E11 einmündet. Aber was ist bei den E-Wegen schon normal, sind ja alles „Projekte“ und so erkläre ich den E11 und dessen Variante zu meinem Projekt. Los geht’s aber wieder in Neu-Westend mit einem netten zweisprachigen Wortspiel.
Und Getränke Hoffmann ist geschuldet, dass ich seit Tagen (!) einen Ohrwurm von Element of Crime mit mir mitschleppe.
Etwas weiter im Norden Richtung Spree lande ich an der idyllischen Berliner Kleingartenperipherie, welche mit Schildern wie „Pflegeheim: Kinder haften für ihre Eltern“ oder „Achtung vor dem überaus freundlichen Wachhund“ ein wenig Witz in die eher humorlose Landschaft bringt.
An der Spree schlage ich den Weg in den Osten ein. Vor 30 Jahren hätte das hier wohl niemand gesagt. Das Gute an dieser Richtung ist die Begegnung mit Lebendigkeit.
Warum ich nur auf der Südseite der Spree unterwegs bin, hat mit der Wegfortsetzung am abzweigenden Landwehrkanal einen einfachen Grund. Doch an der Charlottenburger-Brücke an der Straße des 17. Juni verlasse ich den Landwehrkanal und die eigentlich gedachte Wegstrecke des E11. Der Fernwanderweg würde nun ständig entlang am Kanal führen, aber ich bin ja auch in Berlin um was zu sehen und ein wenig Geschichte aufzuschnappen. Und das geht an meiner erstellten Variante.
Wie in der Übersichtskarte am Ende des Berichtes erkennbar ist, spaziere ich durch den Großen Tiergarten zur Siegessäule und weiter zum Brandenburger Tor. Den mehrspurigen Kreisverkehr rund um die Säule kann man bequem unterirdisch bewältigen. Auf der anderen Straßenseite steige ich wieder aus dem Untergrund hinauf, während im Tunnel ein Musiker „Stairway to heaven“ auf seiner Gitarre mit Verstärker spielt. Die Melodie hallt durch den Tunnel, ein beeindruckendes musikalisches Erlebnis.
Mächtig viele Polizeiautos befinden sich nahe dem Brandenburger Tor, das Tor selbst ist nicht zugänglich und ist abgesperrt. Um auf die andere Seite zu gelangen, muss man großräumig ausweichen. Eine Polizistin erklärt, dass eine rechtsextreme Demo angekündigt ist und hier am Tor ankommen wird: „Früher stand hier ja ne Mauer…Lerneffekt: Null“.
Die südwärts führende Ebertstraße leitet mich zum Denkmal der ermordeten Juden Europas, gleichzeitig befand sich auf dieser Strecke die Berliner Mauer. Wandern auf einem Stück Geschichte. Vorbei am Potsdamer Platz gehe ich in die Stresemannstraße weiter, der Berliner-Mauer-Weg biegt links in die Niederkirchnerstraße ab. Auch ich gehe hier ein Stück weit rein und besuche die Dauerausstellung „Topographie des Terrors“.
Wieder zurück an der Straße und meiner E11-Variante lande ich bald wieder am Landwehrkanal und am eigentlichen Fernwanderweg. Ich nähere mich Kreuzberg, was sich durch bunte Schriften und Graffiti auszeichnet.
Stets am Kanal wandernd, die Augen schwenken links und rechts, noch oben und nach unten, es gibt viel zu sehen und viel zu entdecken. Und nicht nur ich bin hier unterwegs. Viele LäuferInnen, SpaziergeherInnen und Menschen mit Hunde kommen mir entgegen oder laufen in meine Richtung. Ein gemütliches Ambiente, friedlich und erholsam. Hat was!
Der Landwehrkanal macht dann mal einen Knick nach links, ich ebenfalls. Und bevor ich wieder an der Spree lande, entdecke ich die erste richtig gute Markierung des E11. Es sollte nicht die letzte sein, weitere zwei leiten mich zur Spree. Naaa, saugut markiert hier.
Langsam aber sicher wird es dunkel, heißt die Sonne verschwindet, obwohl ich sie heute nie zu Gesicht bekam. Zeit, die Etappe am E11 zu beenden. Denn auch der Nachtbus nach Wien will noch erwischt werden. Am Nordrand des Treptower Park beende ich an der hiesigen S-Bahn-Station meine zweitägige Tour am E11. Und wie so oft: Bin auf den Geschmack gekommen.
Fazit: Auch wenn diese Etappe vor allem im weiteren Tagesverlauf durch die Stadt führt, kommt die Natur nicht zu kurz. Natürlich kann auch direkt am Landwehrkanal weitergewandert werden und nicht die von mir vorgeschlagene Etappe gewählt werden, dann verpasst du aber ein Stück Berliner Geschichte, welche die Stadt auch so besonders auszeichnet.
Meine Motvation zu dieser Tour am E11
Dass ich die zwei Tage auf dem E11 und nicht wie geplant auf der ITB verbracht habe, war eine ausgezeichnete Entscheidung. Nach dem bewegungsarmen Februar kam mir die Wandertour wie Balsam auf der Seele vor, und dafür musste ich nach Berlin fahren. Kurz vor meiner Abreise habe ich die Endversion von meinem neuen Buch „Abenteuer Gassi“ abgegeben, dem Verlag schickte ich eine Postkarte aus Berlin mit einem Zitat von Heinrich Zille: „Wie herrlich ist es, nichts zu tun und dann vom Nichtstun auszuruhn.“
Das Gehen war mein Nichtstun und in ihm fand ich die Ruhe, die ich in den letzten Wochen vermisst habe. Danke, Berlin, für das Nichtstun.
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