Die Diesel-Motoren heulen auf, das Licht an den Bahnsteigen am Bahnhof Zagreb verschwindet immer schneller aus meinem Blickfeld. Langsam wird mir klar, auf was ich mich hier eingelassen habe. In etwa sieben Stunden, noch bevor die Sonne zu sehen sein wird, werde ich am Bahnhof Knin den spärlich besetzten Zug verlassen. Zu Fuß werde ich den höchsten Berg Kroatiens besuchen, direkt an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina.

Mit mir reist das flaue Gefühl im Magen, welches mich seit der Einreise von Slowenien nach Kroatien beschäftigt. Weiß die Polizei nun, dass ich da bin? Soll ich mich wo melden? Was passiert, wenn ich mich nicht melde und wieder bei der Ausreise kontrolliert werde? Ja, diese Fragen beschäftigen mich. Diese und die Frage, ob ich bei dem lauten Geknattere im Waggon wirklich schlafen kann. Dass auf mich 50 Kilometer und 1.600 Höhenmeter warten, gerät zur Nebensache. Im Moment.

Tourdaten: Dinara, kroatischer Landeshöhepunkt

Die Besteigung des Dinara mit der Variante direkt vom Bahnhof Knin zu starten ist durchaus an einem vollen Tag machbar, wie in diesem Beitrag zu lesen ist. Wer sich aber bald genug bei der Hütte Brezovac (Tel. 00385/91/57-58-357, Kroatisch-Kenntnisse erforderlich, N44.09714, E16.34663) anmeldet, kann durchaus auch dort sein Nächtle verbringen und muss sich nicht hetzen um nach Knin zurückzukommen. Die Hütte selbst liegt etwas abseits der Strecke im Nordwesten des Dinara-Gipfels auf ca. 1.050 Höhenmetern.

Die mir damals einzig bekannte Wanderkarte zu dem Gebiet ist im Kartenverlag “Smand” erschienen, Blattnr. 40 “Dinara”, Maßstab 1:30.000. Die eingezeichneten Straßen und Wege sind nachvollziehbar und sind meiner Erfahrung nach korrekt.

Topographische Karten im Maßstab 1:25.000 gibt es, sind aber selbst in Kroatien nur sehr schwierig zu bekommen. Die Karten sind dennoch online verfügbar und haben mir auf dieser Tour in ausgedruckter Form auch gute Dienste erwiesen. Vom kroatischen Bergrettungsdienst ist seit 2016 mit der Karte Dinara 1:25.000 ein passendes Kartenwerk im Handel erhältlich.

Beschreibung der Wanderung befindet sich meines Wissens nach in keinem Buch, in “Europe’s High Points” und Rother Dalmatien ist nur der Aufstieg von Glavas ausführlich beschrieben, alternative Aufstiegsvarianten werden nur erwähnt.

Gipfelhöhe: 1.831 m
vom Bahnhof Knin auf den Dinara
: 9 Stunden (25 km)
Abstieg: 6 Stunden mit Heimweh
benutzte Karte: Smand Nr. 40 Dinara, 1:30.000
weitere mögliche Karten: HGSS Dinara 1:25.000
mögliche Wanderführer: Cicerone Europe´s High Points (beschreibt die Besteigung aber nicht von Knin), Rother Wanderführer Dalmatien
Zusatzliteratur: EU Gipfel von Wolfgang Machreich, traveldiary.de
Anreise und Rückreise: Hinfahrt mit dem Abendzug von Wien nach Zagreb, umsteigen in den Nachtzug nach Knin. Rückfahrt ebenso.
Hinweise: Aufgrund der europäischen Fahrplanwechsel ergeben sich immer wieder andere Zugverbindungen. Hier gilt es sich entsprechend zu informieren, Zugverbindungen nach Knin sind auch auf der Homepage der ÖBB ersichtlich.
Weitere Berichte zur Dinara-Besteigung:
> http://www.hikr.org/tour/post49568.html
> http://www.gipfel-europas.de/kroatien/dinara
> http://www.marretsch.de/eurosummits/kroatien/kroatien.php
> http://www.hps.hr/english/dinara/
> http://www.eu28summits.com/dinara.html
> http://eu-gipfel.eu/kroatien-dinara/

Download file: Dinara fertig.gpx

Öffi-Tagestour von Wien ins Dinarische Gebirge und retour

“Du weißt, was bei Landminen zu tun ist?”
“Nicht d’raufsteigen.”

Selten so einen Abschlussdialog vor einer Wandertour geführt. Die Gefahr, welche von Minen oder Blindläufern ausgeht, ist in Kroatien immer noch gegeben, aber laut der Minenkarte des kroatischen Entminungsdienstes nicht mehr in dem Gebiet, welches ich vorhabe aufzusuchen. Das Gebiet östlich von Knin bis zur bosnischen Grenze wurde bereinigt, aber es wird dennoch empfohlen die Wege nicht zu verlassen. Soviel zu der Stellungnahme des kroatischen Entminungsdienstes. Klingt ja beruhigend. Er soll also folgen, der dritte europäische Landeshöhepunkt im Dinarischen Gebirge.

Am Nachmittag des 3. Oktober 2012 setze ich mich in den Abendzug nach Zagreb. Die Strecke nach Marburg kann ich dank einem amüsanten Gesprächspartner aus Paris kurzweilig überbrücken, von Marburg bis nach Zagreb bin ich jedoch der einzige Passagier in einem Großraumwaggon. Erst ab der kroatischen Grenze genieße ich die Gesellschaft mehrerer GrenzpolizistInnen. Mein Reisepass wird gescannt und sogar gestempelt – wem passiert sowas heut’ schon noch im Zug. Freude! Wobei ich mir dann doch die Frage stelle, warum der Pass gescannt wurde? Die Frage soll dem Anstrengungscharakter der Tour noch ein wenig zusätzliche Würze verleihen.

Kurz nach 22 Uhr stehe ich in der kaum lebendigen Bahnhofshalle in Zagreb. Die Verbotschilder am Eingang geben mir eindeutig zu sagen, dass die Mitnahme von Eislutschern und Pistolen nicht gestattet ist. Blöd, dass ich beides zuhause vergessen habe, ich Schussel.
Die Weiterreise in Form des Nachtzuges Richtung Split lässt nicht lange auf sich warten. Die Waggone sind spärlich besetzt und ohrenscheinlich habe mich wohl an das Klappern des Abteils und Dröhnen der Lokomotive zu gewöhnen. Der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier und so kann ich eingewickelt im Schlafsack auf den Sitzen ausreichend schlafen. Nur die Frage mit dem gescannten Pass lässt mich nicht los.

Es ist kurz nach 6 Uhr früh als ich die Füße auf Knin’sches Stadtgebiet setze und begebe mich auch sofort auf den Weg durch die hell beleuchteten Straßen. In meinen Rucksack finden sich drei Liter Wasser. Diese Menge sollte ausreichend sein, denn auf der gesamten Strecke gibt es keine einzige Quelle oder Wasserstelle, da heißt’s selbst schleppen – Sherpa-Rallye lässt grüßen.

Die Stadt schon hinter mir, verlässt mich langsam die Dunkelheit, Sonnenstrahlen können durch den dichten Nebel jedoch keine dringen. Ich nähere mich ein paar Steinhäusern und vernehme ein lautes Knattern aus einer Einfahrt. Nach wenigen Metern spaziere ich an der besagten Einfahrt vorbei und freue mich auf den Anblick eines alten, urigen Ostblock-Traktors. Irgendwie ist es dann aber doch kein Traktor, sondern ein VW Golf. Dürfte wohl noch gut in Schuss sein.

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Sackgasse. Bin links über dem Tor auf die Straße geklettert.

Kurz danach stoße ich auf eine beschriftete Kreuzung. Da ich eigentlich das Krčić-Tal erreichen möchte, folge ich dem Wegweiser mit der Beschriftung “Krčić” – klingt verdammt logisch. Ich gehe und gehe, überquere eine Brücke über den Fluss Krka und bin verwundert. Stimmt die Karte nicht? Eine Brücke wird nicht überquert, jedenfalls nicht in den ersten Kilometern. What? Endlich hat sich der Nebel etwas gelichtet und ich erkenne meinen Fehler. 30 Meter schräg über mir erblicke ich die ins Krčić-Tal führende Straße. Ich gehe jedoch nicht mehr zurück, sondern folge dem Fußweg entlang dem Fluss bis zum Wasserfall Krsko Vrelo, bei welchem aus dem Gestein der Fluss Krka unterirdisch hervorsprudelt. Über Felsen steige ich hoch zur Straße, nach einer kurzen Kletteraktion erwartet mich nun das Krčić-Tal.

Etwas langatmig bleibe ich nun für 12km auf dieser Schotterstraße, wandere an einigen meist unbewohnten und heruntergekommenen Häusern und alten Mühlwerken vorbei. Der Krčić-Fluss ist in diesem Bereich ausgetrocknet und wird wahrscheinlich erst im Winter und Frühjahr wieder Wasser führen. Wohl auch ein Grund warum die Mühlhäuser verlassen sind, nichts los hier in dieser Gegend.

An einem noch bewohnten Haus vorbeigehend, darf ich zwei Hunde und das Geschrei ihres Besitzers kennenlernen. Im Augenwinkel sehe ich im Garten zwei Schäferhunde sitzen und mache eben genau diesen einen Fehler, der einem in so einer Situation nicht passieren soll: Stehen bleiben und die Hunde anblicken. Denn ich denke mir nichts dabei, hole meine Kamera raus um ein Foto von der Nebelstimmung im Tal zu schießen und blicke unbewusst zu den beiden Vierbeinern. Das war genauso notwendig wie ein Kropf. Schneller als die kroatische Polizei erlaubt starten die Hunde laut bellend in meine Richtung los. In diesem Moment bemerke ich den Zaun, der zwischen mir und den beiden Hunden steht: ein Schweizer Käse. Selbst Hannibal wäre mit seinen Elefanten durch die Löcher gekommen. Ich erinnere mich urplötzlich an den einen Schäferhund in Spanien, welcher bei einer Tour meine Wasserflasche zerbissen hat und mich so indirekt zur Strecke bringen wollte. Die beiden hier im Krčić-Tal haben es aber wohl direkt vor. Gerade als ich über einen Notfallplan nachdenke, meldet sich endlich der Hundebesitzer in Form eines Gepfeifes. Martin Rütter hätte hier ordentlich was zu tun, denn das Gepfeife ist den Hunden aber sowas von egal und sie setzen ihren Kreuzzug gegen mich fort. ‘So, jetzt wird’s spannend’ denk ich mir. Weiteres Gepfeife: sinnlos. Lautes Geschrei: na endlich. Kurz bevor die Hunde durch den Zaun schlüpfen ertönt das Zauberwort. Die zwei Angstmacher machen kehrt und laufen zurück zu ihrem Herrchen.
“Verdammt, Herz! Wo bist du?”
“Sorry, hab kurz in die Hose müssen.”

Entlang dem ausgetrockneten Flussbett erreiche ich nach 15 Kilometern Schotterstraßenhatscher eine Abzweigung mit einem “Dinara-Stein”. Der Stein sagt mir, dass sich irgendwo hinter der Nebelbank der Dinara befindet. Wollen wir’s glauben und während ich daran glaube, sitze ich am Stein und frühstücke einen Müsliriegel.

Nach weiteren drei Kilometern langsam ansteigender Schotterpiste wähle ich bei einer Kreuzung den Weg der rechten unmarkierten und unbeschilderten Schotterpiste, verlasse mich dabei auf die Karte und hoffe auf gut arbeitende Kartographen. Sie sind brav, einige Kurven später beginnt für mich der echte Aufstieg und von nun an ist der Weg durch Wälder, Wiesen und Steinfelder teilweise mit einem rot-weißen Punkt, einer weißen Scheibe an den Bäumen oder mit Plastikbechern an den Ästen gut markiert. Nur einmal, kurz nach dem Beginn des Aufstieges, muss ich mich auf ein Mini-Steinmännchen verlassen und ziehe den schmalen Pfad gegenüber einem Breiteren vor.

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Wegmarkierung.

Das erste Mal so richtig anstrengend wird’s für mich auf einer Höhe von etwa 1.200 Metern. Umgestürzte Bäume versperren den Weg im dichten Wald und ich muss nicht nur einmal ausweichen oder überklettern. Hier zeigt mir mein Körper erstmals, was er von dieser Tour hält. Dynamisches Übersteigen der Hindernisse ist Vergangenheit, keuchendes Rüberhanteln ist aktueller denn je. Vor dem eigentlichen Aufstieg hatte ich schon über 18 Kilometer in den Beinen, im Endeffekt dann doch nicht so wunderbar geschlafen und noch dazu einen Rucksack mit Proviant und Biwakausrüstung am Rücken. So stapfe ich immer weiter nach oben und jeder umgestürzte Baum lässt in mir einen Seufzer hochkommen. Ach, und Anfang Oktober kann es in Kroatien noch ziemlich heiß sein und die Schweißperlen aus den Poren drücken, dass es nur so dampft.

Immer öfter muss ich stehen bleiben, den Rücken kurz entlasten, dann wieder weitermarschieren. Ich mache Pause und lege den Rucksack ab. Was machen die mit dem Pass? Die Frage geht mir nicht aus dem Kopf. Wenn ihr euch fragt, was hat er denn mit dem blöden Pass, ich erklär’s euch. Wildes Campen oder Biwakieren ist in Kroatien mal grundsätzlich verboten. Außerdem ist es notwendig, sich innerhalb von 24 Stunden nach der Einreise in das Land polizeilich zu melden. Wenn ihr privat im Land seid, macht ihr das selbst bei einer Polizeistation. Wenn ihr in einem Hotel oder einer Pension seid, machen das die Unterkunftgeber für euch. Und ich? Ich bin im Land mit einem gescannten Pass und nirgends gemeldet.

Tut man natürlich nicht, hätte es aber wohl dennoch gemacht: draußen biwakiert und erst am Tag danach zurückfahren. Kopfkino läuft. Was, wenn sie bei der Ausreise feststellen, dass ich zwei Nächte (Einreise war ja noch am Abend) in Kroatien verbrachte und nirgendwo gemeldet war? Kann mir da was passieren? Werde ich von der Exekutive festgehalten? Dinge, auf die ich wenig Lust habe. So fälle ich bei dieser Pause eine Entscheidung. Rauf auf den Gipfel, runter, am Abend wieder mit dem Nachtzug nach Zagreb und am nächsten Morgen gleich wieder retour nach Wien. Aber nicht mit dem schweren Rucksack und meinem aktuellen Geistes- sowie Körperzustand. Hinter einem Felsen verstecke ich Biwaksack, Thermomatte und Schlafsack sowie alle Dinge, die ich noch für die Übernachtung in der Natur gebraucht hätte. Mit leichterem Rucksack soll’s ja bekanntlich einfacher gehen.

Als ich mit leichtem Gepäck endlich das Plateau auf 1.500m erreiche, verabschiede ich mich gänzlich von meinem Rucksack und werfe ihn hinter einen Busch. So fertig war ich selten bei einer Tour, dabei war ich noch nicht mal am Gipfel. Da war die Öffi-Tagestour auf den Rysy in Polen ein Kindergeburtstag für mich.

Für die Gipfelbesteigung nehme ich nur das Notwendigste mit, zum Beispiel die Mollner Maultrommel, eh klar. Der roten Markierung folge ich weiter in felsiger Manier bergauf. Je höher ich steige, umso stärker und kälter bläst mir der Wind um die Ohren. Jammern hilft aber nichts, Haube und Handschuhe sind im Rucksack, bin ich froh die Maultrommel mit zu haben. Kurze Zeit später erblicke ich das Gipfelkreuz und erreiche in wenigen Minuten über schroffes Gelände den Gipfelaufbau des Dinara, den höchsten Punkt Kroatiens. Ein gutes Gefühl nach den Strapazen, vor allem der feine Rundblick mit den tiefliegenden Wolken lässt alle Anstrengung in den Hintergrund drängen. Dieses Phänomen kennt ihr sicher, oben am Gipfel und alles ist vergessen.

Der Blick in das östliche Dinarische Gebirge hinein ist aber trügerisch. So still und friedlich dieses Gebirge mit ihrer kargen Landschaft auch erscheinen mag, so riskant und unsicher ist das Gebirge aufgrund des Balkan-Krieges für Mensch und Tier. Für mich in meiner Generation, aufgewachsen im friedlichen Österreich und nie mit Krieg oder Gewalt konfrontiert gewesen, kaum vorstellbar.

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Am höchsten Punkt Kroatiens.

Einsam ist es hier, Menschenkontakt hatte ich seit dem Geschrei mit den zwei Schäferhunden keinen mehr. Für die tierische Umgebung spiele ich ein kleines Stück auf der mitgebrachten Maultrommel. Bevor mir aber die Finger beim Musizieren abfrieren, mache ich mich auf den Rückweg. Gut erkennbar ist am Gipfel auch die Aufstiegsroute auf den Dinara von der Ortschaft Glavas. Ich folge der Markierung “Brezovac” zurück zu meinem Rucksack, packe die restlichen Utensilien wieder in den Rucksack und steige am Aufstiegsweg ab.

Schon etwas gequält hieve ich mich und meinen Rucksack über die überdimensionalen Mikado-Stäbe. Mehrmals denke ich daran, mich einfach neben den Weg zu schmeißen und die Nacht hier zu verbringen. „Geht aber nicht“, sage ich zu mir selbst. Beim Abstieg ins Krčić-Tal erschrecke ich zwei Mal. Beide Male durchzieht ein lauter Knall das Tal. Minen? Oder doch das Bergwerk in der Nähe? Eher Zweiteres.

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Schon etwas gezeichnet, aber noch mit gesunder Backenfarbe.

Es ist 18 Uhr als ich wieder am schon bekannten Dinara-Stein an der Schotterstraße im Krčić-Tal ankomme und kurz danach ein geräuschvoller Lada an mir vorbeibraust. Meine innere Stimmt sagt ‘nimm mich mit’, aber er bleibt sowieso nicht stehen. Die Dunkelheit breitet sich langsam aus, die Luft wird kühl. Und jetzt: Ich schalte die Stirnlampe ein und das Hirn aus. In der Hoffnung, dass die beiden Hunde schon schlafen, erreiche ich wie in Trance gehend mit flottem Schritt kurz vor 21 Uhr wieder die Stadt Knin und den Bahnhof. Ich habe absolut keine Erinnerung mehr an die 15 Kilometer retour zum Bahnhof, so als ob ich in einer anderen Welt gewesen wäre. Also, ihr Meditationsgurus und Trancemeister: Sucht ihr Kontakt zu absoluter Kopffreiheit? Dann folgt meiner Anweisung hier zur Dinara-Tour.

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Drei Stunden folge ich dem hellen Punkt.
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Knin – Stadt des Sirups.

Das angrenzende Lebensmittelgeschäft ist noch offen, ich muss dringend meinen Wasservorrat auffüllen. Diesen habe ich eigentlich schon beim Aufstieg verbraucht. Ich stehe vor einem Regal mit vielen bunten Getränkeflaschen, eine Flasche sticht mir besonders ins Auge. Ein saftig grüner Apfel ist auf dem Etikett aufgedruckt, wenn mein Körper noch welches hätte, mir würde das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich wundere mich zwar noch über den hohen Preis von knapp 30 Kuna (ca. 4 Euro), dennoch kaufe ich dieses Ding liebend gern und mein Rachen wird mir schon dankbar sein. In der Bahnhofshalle Knin breite ich mich und meine Habseligkeiten auf der Sitzbank aus, der Laden hat mittlerweile pünktlich um 21 Uhr seine Pforten geschlossen. Voller Vorfreude öffne ich die wunderbar aussehende Flasche, setze die Öffnung an den Mund und mit überschwenglicher Gier stürze ich die Flüssigkeit in meinen Rachen. Nun wird mir der erhöhte Preis klar, es ist ein Sirup.

Auf den Nachtzug nach Zagreb muss ich einige Zeit warten, dieser fährt erst um 23 Uhr ab. Mittlerweile habe ich meine Zelte am Bahnsteig aufgeschlagen, ein Mann geht zielgerichtet auf mich zu und quatscht mich auf kroatisch an. Ich versteh’ natürlich kein Wort und entgegne ihm, dass nur Deutsch oder Englisch für eine Unterhaltung möglich sei, eventuell Spanisch? Mit gebrochenem Englisch teilt er mir mit, dass er mich mit dem großen Rucksack auf der Schotterstraße gesehen hat, er fuhr mit seinem Lada an mir vorbei und brachte Kinder vom Dorf in die Stadt, warum auch immer, weiß ich nicht mehr. Er wäre gern stehen geblieben und hätte mich mitgenommen, aber sein Lada sei schon voll besetzt gewesen. Der Mann heißt Milan, ist 35 Jahre alt, geboren in Knin und immer nur in Knin gewesen. Neugierig fragt er mich, wo ich denn herumgegangen sei. Ich zeige ihm die Karte und wo ich heute meine Schritte in die Landschaft platziert habe. „Crazy fucking guy“, sind seine ersten Worte. Er sei das letzte Mal in der Kindheit am Dinara gewesen, seitdem nicht mehr. Jeden Tag fährt er mehrere Male die Schotterstraße rauf und runter und hat ständig den Dinara im Blickfeld. Für ihn ist der Berg also nichts Spannendes. Und dass jemand nur wegen dem Berg mit dem Zug von Wien herfährt, raufsteigt, runtersteigt und wieder heimfährt erscheint ihm noch verrückter. Mir mittlerweile auch irgendwie.

Unser Gespräch wird von einer Zugeinfahrt unterbrochen. Eine Frau steigt aus, sie und Milan begrüßen sich außerordentlich leidenschaftlich. Er wünscht mir noch eine gute Nacht, ich wünsche ihm ebenfalls eine gute Nacht, die beiden gehen händchenhaltend zu seinem Lada und verlassen geräuschvoll den Bahnhof.

Selbst der ungeliebte Sirup findet noch einen Abnehmer. Ein junger Mann durchstöbert die Mistkübel in der Umgebung nach trinkbaren Schätzen, bei einer Sprite-Flasche jault er vor Glück über einige wenige Tropfen, welche er umgehend seinem Gaumen zuführt. Er wendet sich mir zu und spricht mich an, ich versteh’ wieder mal nichts. Aber ich zeige ihm die Sirup-Flasche, er nimmt sie an sich und betrachtet skeptisch das gute Stück. Ein Schulterzucken später zieht er mit der Flasche von Dannen.

Die Nachtfahrt nach Zagreb ist leider etwas ungemütlicher als die Fahrt nach Knin, nur wenige Plätze im Zug sind frei. Nach diesem 50 Kilometer-Marsch mit Berg dazwischen ist meinem Körper aber ziemlich egal, dass ich diesmal nur einen Sitzplatz für mich hab. Komaschlafen bis Zagreb ist angesagt.

Am frühen Morgen achte ich am Bahnhof Zagreb diesmal besonders darauf, den Sirup im Regal stehen zu lassen. Im Zug nach Wien begegne ich zufällig meiner Bergpartnerin Heidi, mit welcher ich erst drei Wochen zuvor die Zugspitze ähnlich bestiegen habe – die Magie des Reisens holt mich wieder mal ein und lässt sich nicht abstreiten. Dass mein Körpergeruch merklich wahrnehmbar ist, sagt sie mir durch die Blume. Ach, und was den Pass angeht: Der wurde abermals gestempelt und gescannt. Ohne weitere Fragen kehre ich nach Hause zurück, und mit einem Landeshöhepunkt mehr.

Keine weiteren Fragen. Weitermachen!
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