Keine Aussicht, niederprasselnder Dauerregen, ein rutschiger Aufstiegsweg, lang und schwierig noch dazu. Einen Wandertag wie diesen würden wir wohl nicht mit Lobeshymnen in unser Tourentagebuch schreiben. Aber etwas vielleicht doch: Die trockenen Räume der Hütte, den wärmenden Tee, das g’schmackige Essen und den sauberen Übernachtungsplatz. Zusätzlich noch die lustige Kartenspielrunde am Nebentisch. Eine Wohltat, Hütte sei Dank!

Eine Hütte in den Bergen ist das unverkennbare Markenzeichen des Alpenvereins. Für viele Wanderer ist die Jause am Berg das eigentliche Tagesziel, ein möglicher Gipfel wird zur Nebensache. Der österreichische Neurologe, Psychiater und Bergsteiger Viktor Frankl bezeichnete die Schutzhütten als „Inseln der Askese“ in einer „Überflussgesellschaft“. Die alpinen Vereine haben mit der Errichtung des heute bestehenden Wege- und Hüttennetzes eine große Leistung erbracht und behagliche Orte in einer rauen Bergwelt geschaffen.

Zwischen Trubel und Einsamkeit

Es ist aber gewissermaßen eine paradoxe Situation. Wir suchen die einsame Bergwelt, fern von Menschenmassen und Trubel, wir wollen zur Ruhe finden. Auf der Gegenseite schließen wir uns dem Massenmarsch zur Hütte an, quetschen uns Schulter an Schulter auf die engen Sitzbänke und kommen im Matratzenlager fremden Menschen näher, als es uns oft eigentlich lieb ist. Zumindest war dies in Zeiten vor Corona so. In gewisser Art und Weise setzen wir uns in den Bergen Gefahren aus, streben gleichzeitig aber auch nach Sicherheit. Diese Widersprüche sind völlig normal – ja, eigentlich sogar gewollt. Denn Widersprüche setzen Anreize, um sich über Veränderungen Gedanken zu machen. Veränderungen, die das Aussehen und die Ausstattung der Hütten sowie die Wege zu den Hütten bis heute noch beeinflussen. Dies hat zu unterschiedlichsten Behausungen im Alpenraum geführt: Biwakschachteln, Schutzhütten, Berggasthöfe, Alpen-Hotels, Bettenburgen. All diese Unterkünfte stellen sich bei der Erschließung der Alpen die philosophische und durchaus berechtigte Frage: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

Der erste „Alpen-Palast“

In Österreich begann das Wesen der alpinen Schutzhütten mit der Salmhütte in der Glocknergruppe. Sie war zusätzlich noch die erste ihrer Art in den gesamten Ostalpen, errichtet im Jahr 1799 auf 2644 Metern über dem Meeresspiegel. Sie diente den Erstbesteigern des Großglockners als Unterkunft und spielt somit auch für die Entwicklung des Alpinismus eine wichtige Rolle. Finanziert wurde der Bau vom Klagenfurter Fürstbischof und bekam damals bereits die Bezeichnung „Alpen-Palast“ umgehängt. Ausschlaggebend für diesen Titel waren eine separate Küche, Bänke, Wandhaken und Türen zwischen den einzelnen Räumen. Die Anforderungen an einen Palast haben sich seither etwas verändert.

Vom Tauernhaus zur Berghütte

Die Schutzhütten der Alpen sind von den so genannten Tauernhäusern zu unterscheiden. Diese Häuser fanden sich hauptsächlich in den Salzburger Tauerntälern und wurden als Raststationen und Unterkünfte entlang alter Saumpfade und Handelswege erbaut. Die ersten Tauernhäuser errichtete das Erzbistum Salzburg bereits im Mittelalter. Deren Betreiber, die Tauernwirte, waren verpflichtet, die Saumpfade und Pässe zu erhalten sowie Wegweiser in Form von Steinpyramiden und Schneestangen aufzustellen. Die Benutzung eines Tauernhauses war zum Zweck des Handels vorgesehen, doch auch Pilger und Wallfahrer nutzten diese Unterkunftsmöglichkeit. Für die aufstrebenden Bergsteiger des 18. und 19. Jahrhunderts waren diese Häuser jedoch wenig geeignet, da sie für die hohen Gipfel nicht hoch genug lagen. Im Obersulzbachtal war beispielsweise die obere Almhütte für die Besteiger des Großvenedigers zu tief gelegen. So wurde im Jahr 1841 eine Hütte unweit der heutigen Kürsingerhütte errichtet. Von der Idee, Hütten auf halbem Wege zwischen Talort und Gipfel zu errichten, verabschiedete man sich alsbald und verlagerte den Hüttenbau in Richtung Gipfel.

Krimmler Tauernhaus © wikimedia/Whgler

Von der Wissenschaft zum Alpenverein

Die ersten Erfahrungen auf den Berghütten waren fundamental für die wissenschaftliche Betrachtung des Alpinismus. Gebirgszüge und Täler wurden nach und nach vermessen, das Wissen über Flora und Fauna der Alpen massiv erweitert, auch hinsichtlich Geologie und Meteorologie. Selbst die medizinischen Deutungen der Auswirkungen auf den menschlichen Körper waren besonders aufschlussreich, physisch und psychisch. Selbst damals, zur Zeit der Glockner-Erstbesteigung, mussten die Bergsteiger in der „Wolkenwohnung hinbrüten“, und das drückte sichtlich aufs Gemüt. Doch andererseits war man wiederum dankbar für die „Asyle“ in der Hütte.

Als erster großer „Finanzier“ des Hüttenbaus tat sich der bergaffine Erzherzog Johann von Österreich hervor. Er finanzierte beispielsweise den Bau der Johannishütte in der Venedigergruppe im Jahr 1858 und bereits 1834 die Errichtung der Hofmannshütte an der Pasterze. Damals noch ein Unterstand, im Jahr 1869 dann zur Hütte ausgebaut. Die Hofmannshütte ist auch Zeitzeuge für die Vergänglichkeit mancher Hütten und ihrer Standorte. 2016 wurde die Hütte unweit der Franz-Josefs-Höhe abgetragen und das Gelände renaturiert, ein Neubau kam nicht mehr in Frage.

Erzherzog Johann 1839 am Hochschwab © UMJ/N.Lackner

Der Ausbau der Hütteninfrastruktur erlebte mit der Gründung der nationalen alpinen Vereine – in Österreich ab dem Jahr 1862 – einen regelrechten Aufschwung. In den Jahrzehnten danach entstanden ein umfangreiches Wegenetz und ein System von Hütten, die auch vor nationalen Grenzen nicht Halt machten und nunmehr die gesamten Alpen umspannen.

Die Zehn Gebote des Bergsteigers

Jene treibenden Kräfte, welche die „Erschließung der Alpen“ umsetzten, um die freie Bergwelt zu erkunden, stießen in weiterer Folge die Tür für die Bevölkerung auf. Die Alpinisten der frühen Stunde empfanden die „vielen“ und die Massen am Berg als Diebstahl „ihrer“ Bergwelt. Mit dem Lebensvorhaben in die freie Bergwelt vorzustoßen, waren sie somit im wahrsten Sinn Wegbereiter für den alpinen Tourismus. Bereits vor dem ersten Weltkrieg gab es Kritik an der Erschließungswut des Alpenvereins, denn die weitere „Öffnung“ gefährde den Alpinismus. Immer öfter wurde eine „Abschließung“ gefordert, durchaus auch mit religiöserem Ton versehen. So war von „unseren heiligen Bergen“ und „entweihten Gipfeln“ die Rede. Auch die „Zehn Gebote des Bergsteigers“ aus dem Jahr 1907 fügten sich in diese Zurechtweisung der Alpenbesucher ein. Das sechste Gebot markierte die Erwartungen an die Hütte: „Du sollst dich in der Hütte bescheiden betragen und sollst keine Ansprüche machen, die sich nur in einem Großstadthotel verwirklichen lassen. Denn du wirst nicht deines Geldes wegen aufgenommen.“

Diese Kleinkariertheit löste sich zwar bald wieder auf, die Seiten der Medaille waren aber nun vergeben: Jene, die eine Verschließung der Alpen forderten, und jene, die sich für gleiches Recht für alle einsetzten. Der Ausbau der Wege und Hütten wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Frage gestellt. Im Jahr 1894 meldete die Berliner Hütte, dass der Hüttenzugang neu gestaltet wurde: eine gleichmäßige Steigung, breit und als Reitweg ausgeführt. Stetiger Ausbau und höherer Komfort lockte auf Dauer mehr Menschen aus unterschiedlichen Schichten in die Berge. Die Alpinisten –damals großteils aus einer wohlhabenden Gesellschaft – waren nun nicht mehr unter sich. Der ursprüngliche Gedanke, mit den Hütten „Inseln der Askese“ für die Wohlhabenden einzurichten, um dem Trubel und den Verführungen der Großstadt zu entfliehen, wich der Realität von Orten, die immer mehr Menschen ein gewisses Wohlleben in der ungemütlichen Bergwelt ermöglichten.

Tölzer Richtlinien

Als Wendepunkt der „Luxusdebatte“ in den Hütten gelten die Tölzer Richtlinien aus dem Jahr 1923. Neue Hütten und Wege sollen somit nur errichtet werden, wenn ein bergsteigerisches Bedürfnis besteht. Auch sollen die Hütten einfach gehalten werden. Die Richtlinien prägen bis heute das Leben auf den Hütten sowie auch das Grundverständnis des Alpenvereines. Die „Notmaßnahme“ der Tölzer Richtlinien hinsichtlich Hüttenbau wurde jedoch kaum wahrgenommen, Hütten wurden weiterhin gebaut. Es war bald an der Zeit, die Richtlinien zu überarbeiten und ein einheitliches Regelwerk zu installieren. So geschah es auch im Jahr 1938. Die aktualisierte Version dient seither als Grundlage für die Bewirtschaftung der Alpenvereinshütten. Der Unterschied zu alpinen Gasthäusern, Jausenstationen und Liftrestaurants ist – zumeist – merklich zu erkennen.

„Die ich rief, die Geister,/Werd ich nun nicht los“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe im Zauberlehrling. Dies dachten sich wohl auch die Alpinisten der frühen Stunde, die der Berg-Liebe wegen die Alpen mit Wegen und Hütten erschlossen und sich Jahre später „ihrer Bergwelt beraubt“ fühlten. Diese Gegensätze sind auch heute teilweise spürbar, aber die Erschließung der Alpen ist abgeschlossen – und das ist auch gut so. Es gibt genug Berge für alle. Wer einsame Gipfel und Wege sucht, wird sie finden.

Buchtipp: Hoch hinaus! – Wege und Hütten in den Alpen, erschienen 2016 im Böhlau Verlag, 674 Seiten, herausgegeben vom DAV, ÖAV und AVS.

Dieser Artikel erschien erstmalig im Magazin weitweg 2/2021 der ÖAV Sektion Weitwanderer.


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