Aktuell wird mehr geschimpft als geimpft. Zugegeben, das Licht am Ende des Tunnels war wohl ein verwirrtes Glühwürmchen, das im Labyrinth der Bürokratie falsch abgebogen war. Nun folgen wir diesem flackernden Hintern und hoffen einstweilen auf Rudi, der uns einen Sommer, wie er früher einer war, bescheren soll.
Vielen Menschen geht die Impfung ab, inklusive mir. Ich, als pumperlg’sunder Mittdreißiger, werde wohl auch noch länger auf die erste Corona-Impfung warten. Mit mir selbst habe ich gewettet, dass ich am 17. Juni drankomme (2021). Bin schon gespannt, wer die Wette gewinnt.
Und weil die Impfung in vielen Landesteilen noch abgeht, erging ich mir zumindest das virtuelle Jaukerl bei einem Spaziergang im Südosten von Wien. Eine Spritztour der besonderen Art.
Jaukerl-Trail durch Simmering – oder einfach Spritztour
Nein, ich war nicht eing’spritzt, als ich mir diesen Spaziergang überlegt hatte. Bissi vielleicht. Aber beim Start an der S-Bahn-Station St. Marx war ich nüchtern wie norddeutscher Humor.
Die Nadelspitze wird durch den Weg Am Kanal perfekt dargestellt. Kaum zu glauben, dass vor 200 Jahren von Wien Mitte ausgehend ein Wasserkanal in den Süden Niederösterreichs verlief. Die Initiative zum Bau dieses Kanals ging von der Wiener Neustädter Steinkohlegesellschaft aus, daher auch Wiener Neustädter Kanal genannt. In Wien fließt davon nichts mehr, in Niederösterreich aber sehr wohl.
Beim Einstich der Rautenstrauchgasse ist die Nadel formvollendet, nun geht’s dem Spritzenzylinder an den Kragen. Die Simmeringer Hauptstraße ist hierzu bis zum Zentralfriedhof ein sehr dankbares, nahezu gerades Wegstück.
Dass hier in Simmering die Bierpartei mitmischt (nur keinen Radler mischt), merke ich als aufmerksamer Gerstensaftkonsument an nahezu jeder Hausecke. Bier gilt hier als Lebenselixier.
Simmering habe ich noch nie so als Vorort betrachtet wie heute. Mehrstöckige Häuser wechseln sich mit Minihäusern ab, Schulter an Schulter oder Dachknie an Schulterdach. Wer nur ein bisserl mit offenen Augen durch Simmering geht, kippt sich gleich mal einige Vorurteile, die manche vielleicht haben, hinter die Birne.
Immer weiter der Simmeringer Hauptstraße auf meiner Spritztour entlang, bemerke ich, dass ich auf dieser Seite leider keine breite Fingerauflage für die Spritze zustande bringe. Zwar „Made in Austria“, aber mit selten gehlungener Qualität!
Zentralfriedhof
„Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Toten…“, summe ich beim Betreten der Ruhestätte durch das Tor 1. Rund drei Millionen Verstorbene sind damit gemeint. Ich befinde mich Bereich des alten jüdischen Friedhofes, einem besonderen Schmankerl dieses Areals. Hier geht’s wild zur Sache, Ordnungsfreaks laufen schreiend davon. Jedenfalls eine gute Möglichkeit für Großstädter ein Reh in halbfreier Wildbahn zu beobachten.
Stunden, Tage, Wochen könnte ich hier verbringen. So viele kleine einzelne Schätze, so viele kleine Besonderheiten, Inschriften und Überraschungen zieren die unzähligen Gräber am Zentralfriedhof. Natürlich interessant sind die Bereiche der Ehrengräber und Künstlergräber am Weg von Tor 2 zur Luegerkapelle. Schauspieler Fritz Muliar möchte anscheinend gerne nach Kreta (wer könnte es ihm verdenken…), während die berühmteste Karikaturkatze Österreichs über der Grabstätte von Manfred Deix thront.
Die Präsidentengruft am Vorplatz der Luegerkirche dient seit 1951 als letzte und „automatische“ Ruhestätte für Bundespräsidenten und ihre Gattinen.
Die symmetrischen Wege im Zentralfriedhof sind ideal für die Ausführung des Kolbens und der Daumenauflage. Diese gelingen, neben der Nadel, wohl am besten. Das Gute dabei ist, dass ich wieder in das Gebiet des alten jüdischen Friedhofs eindringen kann. Gewiss: Hier komme ich ohne geplante Wegstrecke wieder her.
Ich habe zum Glück das Privileg, den Zentralfriedhof auch wieder verlassen zu können. Nur habe ich einen geographischen Sprung hinter mir, denn ich muss erst wieder das Ortsschild von Wien passieren.
Retour zur Nadel
Die S-Bahn-Station Zentralfriedhof lasse ich links liegen und quere die Straße am Kreisverkehr zum Weichseltalweg – bin ich in Niederösterreich? Aber nein, es geht nur etwas unspannend die B225, alias Schemmerlstraße, quasi auf der anderen Kanalseite entlang.
Bei einem weiteren Kreisverkehr an der Hasenleitengasse quere ich rechts die Aspangbahn und biege links auf den Ludwig-Kralik-Weg. Nun habe ich zwar eine kleine Stufe in meinem Spritzenzylinder, aber ich könnte sonst keine Skalenmarkierungen gehen. Und zwecks der Optik gehört das schon her.
Die erste Markierung (ich rede nicht von Hunden) hinterlasse ich mitten in einer Wohnhausanlage. War so nicht geplant, aber hat sich niemand beschwert. Kurz vor der Eisenbahnbrücke folgt Nr. 2 und dies sogar mit einem Rastplatz auf einem Hügel als Endstation. Die mittlere Skala führt eher wieder unspannend in die Römersthalgasse.
Langsam wird’s wieder etwas hektischer, denn Skala Nr. 4 will in die Grillgasse gelegt werden. Ein freudiger Abschluss der Skalenwege gelingt im Herderpark bei einer Meerjungfrau, die aktuell – so wie ich – auf dem Trockenen liegt.
Ich hatte ganz vergessen, dass ich mich mittlerweile wieder Am Kanal befinde und diesem Weg nun wieder nordwärts folge. Da die Spritztour eine große Rechtskurve vollzieht, kann ich getrost auch von einem halbwegs erfolgreichen Spritzenzylinder berichten. Jetzt heißt’s also weiter warten und hoffen, dass am End‘ nicht „olles umasunst“ war.
2 Kommentare
Lieber Martin!
Danke für den authentischen Einblick in die Spritztour im südosten Wiens, gleich neben meiner Haustüre sozusagen. Ich werde bei so manchen Abschnitten das nächste Mal an diesen Beitrag denken…oder bei der Impfung?
Liebe Nathalie, dann hoffe ich mal, dass du schon sehr bald an diesen Beitrag denken wirst. ;-)
LG, Martin