„Dich habe ich wohl schon lange nicht mehr gepackt“, sage ich zu meinem größten Rucksack, als ich Festival-Tickets aus 2013 in seinen Taschen finde. Mein Ziel: der Zentralalpenweg in Vorarlberg. Das Vorhaben: mit Zelt und Proviant für drei Tage unterwegs zu sein. Der Grund: den Annehmlichkeiten für ein paar Tage entfliehen.
Frohen Mutes steige ich in den Nachtzug nach Bludenz ein. Es ist wieder eine dieser Touren, die direkt nach Ankunft in Vorarlberg beginnt. Eine gute Voraussetzung dafür ist immer eine geruhsame Nacht, die ich meistens in den Nachtzugfahrten unter der Woche erlebe. Doch heute ist alles anders…
Fünf Personen in einem Sechs-Personen-Abteil sind mindestens um zwei zu viel, ein Schnarchkünstler in allen erdenklichen Sitzpositionen ist mindestens einer zu viel. Erst um halb 5 früh kehrt ab Innsbruck Ruhe ein, und ich finde bis 6 Uhr meinen ersten und einzigen Schlaf in dieser Nacht.
Der Wetterbericht vom Vorabend sagt zwar kein sonderbar rosiges Bergwetter voraus, aber auch keine schlechten Bedingungen. Ein guter Kompromiss, um mich mit Sack und Pack auf den Weg nach Gargellen zu machen. Die Montafonerbahn nach Schruns-Tschagguns und ein Landbus machen es möglich. Es ist 8 Uhr. Wenn mir hier jemand sagen würde, dass ich erst mehr als 14 Stunden später in der Lindauer Hütte einkehren werde und mein Zelt mit mir mitschleppe, ich würde herzhaft lachen. Wenn der Konjunktiv Realität wird…
Etappeninfos Gargellen – Lindauer Hütte
Unterwegs gewesen am Dienstag, 28.07.2015
Anreise nach Gargellen: mit dem Zug nach Bludenz, Anschluss nach Schruns mit der Montafonerbahn, Busverbindung nach Gargellen
Einkehrmöglichkeiten: Tilisunahütte, Lindauer Hütte
Nächtigungspreise: Lindauer Hütte: 8 € als AV-Mitglied im Lager, Frühstück groß 8 €
Entfernung: 14 Kilometer
Höhenmeter auf/ab: +1.400m/ -1.100m
Zeitangaben real mit Pausen: Gargellen – Sarotlajoch (3,5 Stunden) – Plasseggenpass (25 Minuten) – Grubenpass (50 Minuten) – Tilisunahütte (30 Minuten) – Schwarze Schwarte (30 Minuten) – Lindauer Hütte (mit mehrstündiger Schlafunterbrechung 2 Stunden)
Markierung: fast keine Zentralalpenweg-Schilder, lokale Markierungen zu den nächsten Etappenzielen beachten
Wanderkarten: ÖK 50 1106 & 1230, fb WK 374 1:50.000
Wanderführer: ÖAV Sektion Weitwanderer Zentralalpenweg Band III
Wegcharakter: keine besonderen Schwierigkeiten, kein Handeinsatz, bei Nässe ist der Bilkengrat rutschig (ja, die eigene Erfahrung…)
Übersichtskarte
Zentralalpenweg 02: Gargellen – Lindauer Hütte
Vom Busfahrer hole ich mir die letzten Wetter-Infos: „eh schen“. Mit dieser glasklaren Aussage starte ich die Tour am Zentralalpenweg. Der Aufstieg zum Sarotlajoch (2.389m) beginnt direkt im Ortszentrum, einen Hinweis zum Zentralpenweg suche ich hier vergebens, dafür führt durch Gargellen auch der rote Abschnitt der Via Alpina.
Die Sonne scheint mir in den Nacken. Nachdem ich dank der Verspätung des Nachtzuges am Bahnhof Bludenz nicht mein übliches Frühstück vom Bäcker einnehmen konnte, wird am Ronngbach-Wasserfall schon an meinem Proviant genagt. Mit Butterbroten gefüllt, fällt mir der Aufstieg nun etwas einfacher. Ein Gähnen wird jedoch immer wieder mal in die Bergwelt des Rätikons gelassen.
Mein Gähnen wird nur von Ö3-Musik unterbrochen, welche aus dem Stall einer Almhütte dröhnt. Da wird die Milch schon vor dem Melken sauer.
Bald knacke ich die 2.000er Höhenmarke, mit ihr kommt der Wolkennebel und dieser spuckt mich erst wieder am Sarotlajoch aus. Immer wieder pfeift mir ein Murmeltier nach – wenn die wüssten, dass ich schon mal Murmeltiersalbe verwendet habe.
Am Weg zum Plasseggenpass erkenne ich die ersten anderen Wandersleut an diesem Tag, welche sich von Partnun zur Tilisunahütte aufmachen. Mittlerweile ist mir am Sarotlajoch die erste Beschilderung zum Zentralalpenweg aufgefallen.
Gemeinsam mit dem Rätikon-Höhenweg Nord betrete ich am Zentralalpenweg wieder das österreichische Staatsgebiet und wandere auf äußerst gemütlichen Wegen anfänglich leicht bergab und vor dem Grubenpass wieder etwas bergauf. Im Minutentakt ändert sich hier die Wetterlage.
Die Tilisunahütte erkenne ich erst, als ich schon zehn Meter von ihr entfernt bin – so dicht ist hier der Nebel. Und nach wenigen Minuten auf der Nebelterrasse der Hütte, darf sie sich endlich Sonnenterrasse nennen. Es ist nun Zeit für ein deftiges Krautgulasch, welches man auf der Tilisunahütte schon für 8 € entgegengestreckt bekommt!
Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass ich topfit und munter bin. Vor allem nach dem Krautgulasch will ich eigentlich gerade nur mehr schlafen. Ich raffe mich auf, mit dem Zelt im Rucksack bin ich so flexibel unterwegs, dass es mir im Grunde egal ist, wo ich mein Nächtle verbringe, wenn denn der Zeltplatz passt.
Der eigentliche Chef der Tilisunahütte hält sich im Innenhof auf und bellt alles an, was sich auch nur im Wind irgendwie bewegen könnte. Mit Hundegebell und Kuhglocken-Geläute steige ich hinauf zur Schwarzen Scharte. Alle Geräusche verstummen.
An der Schwarzen Scharte angekommen, schmeiße ich wieder mal meinen Rucksack gen Boden. „Sakra, bin ich müde!“, schießt mir durch den Kopf. Etwas oberhalb der Schwarzen Scharte in Richtung Schwarzhorn befindet sich eigentlich ein perfekter Zeltplatz: eben, leichtes Gestein. Nur wäre ich hier den Gewalten des Wetters komplett ausgesetzt. Ich schultere wieder meinen Rucksack und steige in den Bilkengrat ein. Viele, viele Serpentinen führen mich den begrasten Grat hinab. Immer wieder küsst mich die Sonne, auch während ich das beeindruckende Wolkenspektakel am Sulzfluh beobachte. Ich lege meinen Rucksack auf die Wiese am Grat und setze mich darauf. Kurz mache ich die Augen zu und weg war ich. Sekundenschlaf am Bilkengrat. Die Müdigkeit, die wenigen geschlafenen Stunden in der Nacht, der Arbeitstag davor, haben nun voll eingeschlagen.
So, die 400 Höhenmeter am Bilkengrat steige ich in diesem Zustand nicht bergab. Ich suche mir etwas abseits des Weges eine ebene Fläche, baue das Zelt auf und mache es mir im Inneren bequem. Schnell bin ich wieder eingeschlafen.
Kurz nach 20 Uhr erwache ich aus meinem Müdigkeitsschlaf. Mein Zelt ist mittlerweile vom Nebel eingehüllt. Irgendwie vertraue ich dem vorgesagten Wetter nicht, und dem „eh schen“ des Busfahrers schon lange nicht mehr. Ich versende eine SMS-Wetter-Anfrage an Alina in die Heimat. Die Antwort erfolgt ein paar Minuten später und ist mehr als ernüchternd: Kaltwetterfront, Regen, Gewitter. Jetzt passiert ein internes Hin und Her: Soll ich hier bleiben? Soll ich zur Lindauer Hütte absteigen? Wird mich der angesagte Regen noch erwischen? Mein simples Zelt ist einem Regenguss nicht gewappnet, das weiß ich, soll ich es trotzdem riskieren? Dabei hätte ich so einen schönen Zeltplatz gefunden…
Um 20:30 Uhr verschicke ich eine SMS an Alina: „i pack mi zam und steig ab“.
Während ich alles wieder zusammenpacke und das Zelt abbaue, setzt sanfter Nieselregen ein. Dürfte wohl die richtige Entscheidung sein. Den restlichen Bilkengrat geht es nun bergab, während mich das Tageslicht immer mehr verlässt und ich die Stirnlampe aktivieren muss. Im Schein der Stirnlampe wirkt der Nieselregen wie eine Gischt eines vor mir vorausgehenden Wanderers, nur Scheibenwischer habe ich keinen eingebaut. Am tiefsten Punkt an einem Bach angekommen, den es zu queren gilt, bin ich aber noch lange nicht bei der Lindauer Hütte. Noch weitere zwei Kilometer und 60 Höhenmeter führen mich durch den Porzalengawald, welcher mich etwas vom stärker einsetzenden Regen schützt.
Die Nachtruhe ist schon seit einer Viertelstunde im Gange, als ich halb begossener Pudel die Gaststube betrete, in welcher Hüttenwirt Thomas und sein Team den Hüttentag ausklingen lassen. Mit einem wie mir, hätten sie wohl heute nicht mehr gerechnet. Doch relativ unkompliziert wird mir erklärt, wo das Lager ist und ich mir dort einfach einen Platz suchen kann.
Das Notwendige für die Nacht packe ich gleich vor dem Lager aus dem Rucksack, will ja kein nächtlicher Ungustl sein, wenn ich schon nach der Nachtruhe einen freien Platz suche. Doch das Lager ist vielleicht maximal zu einem Viertel besetzt, ein Platz ist schnell gefunden.
Ich rutsche in den Schlafsack und lausche dem Regen, welcher immer stärker auf das Dach über meinem Kopf prasselt. Als ich höre, dass sich starker Wind zum Regenguss dazugesellt, bin ich mit meiner Entscheidung über den Abstieg zur Hütte glücklich. In diesem Fall bin ich über die Annehmlichkeiten der Lindauer Hütte äußerst dankbar.
4 Kommentare
[…] immerhin ein, zwei, drei Tourentagen im Rätikon kann Martin […]
Sehr fein, so weit werd ich nach der aktuellen Urlaubsplanung heuer wohl nicht mehr kommen. Nächste Woche werde ich aber mal Ötz-, Pitz- und Oberinntal in Angriff nehmen.
Meiner Erfahrung nach hat sich der Aufpreis für einen Platz im 4er-Liegewagen noch immer gelohnt. Gegen Schnarcher kannst auch dort nix tun, aber der eigene Quadratmeter Liegefläche ist schon viel wert – ausstrecken spielt’s aber mit meinen 1.97 aber trotzdem net ;)
Ja, ich werde bei der nächsten Tour auch mal auf die bequemere Anreise zurückgreifen und es dann wahrscheinlich soooo angenehm finden, dass ich bis Zürich durchschlafe. :)
Was steht an? Nord- oder Südvariante vom 02er?
02A, also Nord, da ich bisher dort unterwegs war. 02 dann für den Rückweg? ;)